Sido aka Paul Würdig im artgerechten Adidas-Sneaker-Socken-Zweiteiler spricht und agiert ab Sekunde 1 so, als gehörten Deutschlands Top-10-Politdarsteller zu seinem natürlichen Soziotop: „Ich sag‘ immer du. Ist das okay?“ Das Sie hat keinen Platz im Leben von Sido, auch wenn der jetzt neben der Musik das Geschäftemachen für sich entdeckt hat. Sido ist an KEjF beteiligt, einem Berliner Cannabis-Start-up. Und für dieses Unternehmen hat er den Bundesgesundheitsminister zum ersten KEjF-Talk ins Studio eingeladen.
Der Mann, der offiziell als Herr Minister angesprochen werden sollte, weiß, dass er mittendrin ist in der Legalize it!-Zielgruppe und entscheidet spontan: „Sido dann. Also dann bin ich Karl.“
„Der Stoff ist in guter Qualität da“
Karl will aufklären. Das wird im Laufe des Gesprächs klar. Aufklärung und Jugendschutz sind seine Mission und der Grund, warum er sich Zeit für Sido nimmt. Über Sido erreicht der Minister schneller, tiefer, glaubwürdiger und viel preiswerter als mit hilflosen Werbetafeln im öffentlichen Nahverkehr die, die er erreichen will: Heranwachsende. Die will Lauterbach schützen vor dem Teilsuizid am heranwachsenden Gehirn: „Unter 18 geht gar nichts.“ Und zwischen 18 und 21 Jahren maximal 30 Gramm pro Monat mit einem THC-Gehalt von maximal zehn Prozent. Sido hört freundlich lächelnd zu und denkt wahrscheinlich an seinen ersten Joint kurz vorm 18. Geburtstag.
Die hochpotenten Weed-Sorten, die heute auf dem Schwarzmarkt unterwegs seien, berichtet der Bundesgesundheitsminister, würden „zum Teil, wie das in der Fachszene heute heißen würde, die Birne beschädigen“. Sido seufzt: „10 Prozent ist schon recht wenig.“ Er selbst habe mit 14 Prozent angefangen, damals in der „Schmuddelecke“, aus der der „Stoff“ jetzt endlich raus muss. Da sind sich der Karl und der Paul einig. Marihuana muss weg von den „Dealern und Verbrechern“ und rein in die Social Clubs, die das Gras selbst anbauen und auf toxische Beimengungen verzichten. Karl: „Der Stoff ist in guter Qualität da.“
„Die jungen Leute wollen sich zuballern“
Karl, der Idealist, der an das Gute im Menschen glaubt, und Paul, der weiß, dass es auch ganz anders kommen kann: „Glaubt ihr eigentlich nicht, dass die 18- bis 21-Jährigen auf den Schwarzmarkt gehen, wenn sie so eingeschränkt sind?“ Nein, glaubt der Minister nicht: „Viele werden denken, wenn ich in dem Alter schon konsumiere, dann nehme ich lieber den Stoff, der mir weniger schadet.“
Sido bleibt mit seiner Ghetto-Expertise skeptisch: „Ich glaube, die jungen Leute wollen sich zuballern. Je mehr, desto besser.“ Kurz und knackig. Sidos neuer Kollege und Karls Kumpel Markus Lanz hätte für die Ausformulierung eines solchen Gedankens gefühlt genauso viel Zeit gebraucht wie ein hart gekochtes Frühstücksei.
Neues Cannabis-Level antrainiert
Es bleibt nicht der einzige Knackpunkt zwischen den Legalisierungsfreunden im KEjF-Studio, denn auch für die richtigen Erwachsenen will Lauterbach nur 50 Gramm pro Monat erlauben, THC-Gehalt nach oben immerhin offen: „Mit 50 Gramm kommt man schon gut über die Runden. Der Konsum, der darüber hinaus ginge, wäre auch gefährlich. Will man nicht. Willst du nicht.“
Kurze Pause, irritiert beginnt Sido zu stottern: „Wer … also … wer … wer … ich … ich … nicht? Ich nicht?“ Dabei sieht er aus, als würde er sich ausmalen, wie trostlos das Leben mit einer Tagesdosis von 1,61 Gramm – oder im Februar mit 1,79 Gramm – Gras wäre und beteuert: „Also, ich vielleicht schon. Das schaff‘ ich.“ Er sei schließlich auch ein „großer und stabiler Mann“ und habe sich in den vergangenen Jahren „vielleicht ein neues Level antrainiert“. Das sei doch möglich.
„Schrumpft mein Gehirn jetzt?“
„Nee, das ist genauso, als wenn man ständig Alkohol säuft“, belehrt der studierte Mediziner Prof. Dr. Karl Lauterbach. „Die Leber wächst nicht, sondern wird schwächer. Und wenn man ständig so mehr als 50 Gramm pro Monat reintut, dann wächst auch das Gehirn nicht, sondern da muss man an die Reserven gehen.“
„Aber es schrumpft nicht.“ Sido klingt besorgt. „Schrumpft mein Gehirn jetzt?“ Eine Frage, die sicher auch die Bezieher von Medizinalcannabis aus der Apotheke interessiert. Die können sich nämlich schon jetzt maximal 100 Gramm pro Monat verschreiben lassen. Lauterbach beruhigt: „Schrumpfen tut’s nicht …“ – „Ah, okay. Cool.“
„Hast du Druck bekommen vom Volk?“
Aufklärer Sido appelliert ans Studioteam: „Leute, nicht mehr als 50 Gramm, sagt Karl, und ihr müsst euch da auch kein Beispiel an mir nehmen.“ Aber Lauterbach korrigiert: „Karl sagt ,am besten gar nichts‘.“ Warum er dann überhaupt legalisieren wolle, will Sido wissen. „Hast du Druck bekommen vom Volk?“
Abseits vom Geplänkel ging’s auch um Cannabis als Medizin. Lauterbach sieht das Potenzial der Hanfpflanze und freut sich über eine neue Ärzteschaft, die sich „hochseriös“ mit dem Thema Medizinalcannabis beschäftige: „Da hat sich was aufgebaut, was richtig ist.“ Es werden Erkenntnisse gesammelt, welche Cannabissorte, welcher Strain bei welchem Krankheitsbild eine Therapieoption sein kann. Und das sei eine Chance für mehr Gesundheit.
Lauterbach selbst will auch in Zukunft auf Eigenkonsum verzichten: „Ich legalisiere, aber danach bin ich raus.“ Er selbst habe vor Jahren mal einen „durchgezogen“ und sei überrascht gewesen von der tollen Wirkung, die sich sofort eingestellt habe. Das war dem Gesundheitsminister zu gefährlich.
„Durchziehen“ ist im Ghetto mehrdeutig. Sido hakt nach: „Was ist es denn gewesen? Gras?“ – „Keine Details.“
In ihrem Koalitionsvertrag haben SPD, FDP und Grüne vereinbart, die „kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften“ zu ermöglichen. Der jetzt vorgestellte Plan von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sieht unter anderem vor, dass Cannabis in sogenannten Social Clubs an Mitglieder verkauft werden darf. Außerdem soll jede erwachsene Deutsche drei Hanfpflanzen im Garten oder auf dem Balkon stehen haben und 25 Gramm Gras besitzen. Guter Plan?
Sebastian Pötzsch: Was der Bundesgesundheitsminister vorgestellt hat, ist nicht einmal ansatzweise zu Ende gedacht und die mit Abstand schlechteste aller Optionen für eine Legalisierung von Cannabis.
Illegale Dealer schmeißen Partys.
Schlecht für wen?
Schlecht für die Ziele der Koalition und ganz schlecht für Menschen, die gesundheitlich oder beruflich mit Cannabis zu tun haben. Illegale Dealer ausgeklammert. Die schmeißen Partys, wenn der Plan tatsächlich so umgesetzt werden sollte.
Das Ziel der Quasi-Legalisierung würde doch erreicht werden.
Warum will die Ampel Cannabis legalisieren? Wörtlich heißt es im Eckpunktepapier der Bundesregierung: „… soll die Qualität kontrolliert, die Weitergabe verunreinigter Substanzen verhindert und der Jugendschutz sowie Gesundheitsschutz für Konsumentinnen und Konsumenten bestmöglich gewährleistet werden.“ Ich frage mich, wie soll die Qualität kontrolliert werden, wenn jeder Ü18 irgendwo drei Pflanzen anbauen darf. Es wird damit absolut leichtgläubig mit der Produktqualität umgegangen, denn ohne kommerzielle Lieferketten kann man weder sagen, woher was kommt, noch was drin ist, noch welche Qualität es enthält. Selbst in der professionellen Produktion von medizinischem Cannabis gibt es immer wieder Probleme. Zum Beispiel mit Schimmel. Ein anderes Problem sind Schwermetalle, die über das Wasser in die Pflanze und dann zum Konsumenten kommen. Die letzte Bastion einigermaßen kontrollierten Anbaus wären die drei in Deutschland lizensierten Medizinal-Cannabis-Produzenten. Aber selbst die kommen in Schwierigkeiten, wenn der Plan so umgesetzt wird.
„Der Verfolgungsdruck durch die Behörden fällt fast ganz weg.“
Das ist doch ein ganz eigener Markt und strikt getrennt vom illegalen Markt auf der Straße.
Die Produzenten ja, die Konsumenten nein. Lehnt die Krankenkasse die Kostenübernahme für ein vom Arzt ausgestelltes BtM-Rezept ab – und das passiert immer noch sehr oft –, muss der Patient die Kosten für das Cannabis aus eigener Tasche übernehmen. Er kann mit dem Rezept zwar zur Apotheke gehen und dort Cannabis beziehen. Was aber passiert, wenn er in der Apotheke für ein Gramm 15 Euro oder noch mehr bezahlen muss? Dann besorgt er sich das Gras doch lieber anderswo. Bisher musste er dafür in die Illegalität eintauchen und etwa neun bis zehn Euro zahlen. In Zukunft gibt’s Cannabis überall für kleines Geld, denn jeder darf es anbauen und besitzen. Der Verfolgungsdruck durch die Behörden fällt fast ganz weg. Jeder Dealer kann, je nachdem, wo dann die Grenze gesetzt wird, mit 25 Gramm Gras in der Tasche durchs Viertel bummeln.
Damit dürfte sich dann auch gleich der Wunsch erledigt haben, den Schwarzmarkt auszutrocknen.
Exakt. Diesen Wunsch mit diesem Plan umsetzen zu wollen, ist geradezu grotesk realitätsfern. Jeder Dealer könnte in Zukunft ganz legal seinen eigenen Social Club eröffnen.
Markt wird mit billigem Cannabis geflutet.
Der Jugendschutz steht auch noch im Eckpunktepapier der Bundesregierung.
Wenn der Markt mit billigem Cannabis geflutet wird, das niemand kontrolliert und jeder besitzen darf und es also auch problemlos und ohne Verfolgungsdruck weitergeben kann, fällt es mir schwer zu erkennen, was das mit Jugendschutz zu tun haben könnte.
Gibt es einen Ausweg mit Jugend- und Qualitätsschutz?
Ich bin kein Jurist und gäbe es einen einfachen Ausweg, hätten ihn wohl auch schon die Experten im Bundesgesundheitsministerium gefunden. Hier prallt internationales Recht auf Wunschdenken der Ampelregierung. Cannabis gilt nach WHO-Definition immer noch als Droge. Wir könnten theoretisch sagen ‚Uns doch egal‘, aber das funktioniert wohl nicht so einfach. Die Ideallösung wäre wohl eher, dass nur geprüftes Cannabis in Apotheken frei verkauft und dabei auch das Alter geprüft wird. Das ist – mit Ausnahme des erforderlichen BtM-Rezepts – der Weg, den wir in Deutschland seit 2017 mit Medizinalcannabis erfolgreich gehen. Aber dafür dürfte Cannabis nicht zu den Betäubungsmitteln zählen, siehe oben. Die Cannabis-Legalisierung mit internationalem Recht abzustimmen, ist eine große Hürde. Aber wird der Lauterbach-Plan so umgesetzt, bedeutet das nichts weniger als den totalen Kontrollverlust über den Cannabismarkt in Deutschland.
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Schutz für Konsumenten: Reinheitsgebot für Cannabis
Pilze, Pestizide, Haarspray, Schwermetalle – alles drin
Mit dem geforderten verbindlichen Reinheitsgebot möchte der Verband Cannabiswirtschaft „das Aufsprühen und Einmischen von Streckmitteln und kaum erforschten THCimitierenden Substanzen sowie synthetisch hergestellten Cannabinoiden verbieten“.
Die von uns erarbeiteten Standards, Maßnahmen, Kontrollen und Grenzwerte orientieren sich an engen, erprobten Kriterien und praktizierten Verordnungen. Sie dienen als mögliche Richtschnur für die Qualitätskontrolle von Genusscannabis mit einer kommenden Regulierung.
Jürgen Neumeyer, Geschäftsführer Branchenverband Cannabiswirtschaft
In seinen „Qualitätsanforderungen an Cannabis zu Genusszwecken“ geht der Verband darüber hinaus. Hier definiert er unter anderem konkrete Grenzwerte für Stoffe wie Schwermetalle, Mykotoxine (Schimmelpilzgifte) und Pestizid-Rückstände. Er orientiert sich dabei an bereits existenten Regelwerken wie dem Europäischen Arzneibuch.
Der Schwarzmarkt nimmt’s mit der Qualität nicht so genau
Qualitätsanforderungen und Reinheitsgebot sollen dem Schutz der Gesundheit von Konsumenten dienen. Zugleich bietet eine hohe Produktqualität die Chance, sich vom Schwarzmarkt abzuheben. Schwarzmarkthändler nehmen es mit der Qualität von Cannabis oft nicht genau, manchmal mit gefährlichen Folgen. Einige strecken den Hanf mit Bestandteilen wie Zucker, Talkum und Haarspray. Besonders problematisch ist gestrecktes Cannabis, dem synthetische Cannabinoide hinzugefügt wurden. Der Deutsche Hanfverband warnt vor möglichen Folgen wie Krampfanfällen, Halluzinationen und Herzinfarkten sowie vor dem Risiko einer tödlichen Überdosierung.
Das Risiko, gestrecktes Cannabis zu erhalten, ist bei lizenzierten Cannabishändlern gering. Kaum ein offizieller Händler wird seine Lizenz durch ein derart kriminelles Handeln gefährden. Größer ist das Risiko ungewollter Verunreinigungen durch mangelhafte Prozesse in der Lieferkette. So gilt zum Beispiel Schimmelbefall als eines der größten Probleme bei Anbau und Lagerung von Cannabis. Einheitliche Qualitätsstandards haben aber noch eine weitere Funktion neben der, die Konsumenten vor den bisher beschriebenen Risiken zu schützen. Sie müssen auch sicherstellen, dass der THC-Gehalt im Freizeitcannabis den Angaben entspricht. Nur dann können Konsumenten die Stärke des Cannabis einschätzen.
Die Herausforderung: effektive Kontrolle, vertretbare Kosten
Die Bundesregierung mahnt in ihrem Eckpunktepapier zur Cannabis-Legalisierung, das sie im Oktober 2022 vorgestellt hat, ebenfalls Qualitätsstandards an. Sie weist zusätzlich auf die Notwendigkeit intensiver Kontrollen hin.
Die gesamte Liefer- und Handelskette (Anbau, Verarbeitung, Transport, Großhandel, Einzelhandel) ist einem Kontrollsystem (Track and Trace) zu unterwerfen, das eine Dokumentation der einzelnen Schritte in der Kette einschließt.
Punkt 31 im Eckpunktepapier der Bundesregierung
Der Branchenverband Cannabiswirtschaft (BvCW) geht auch bei solchen Kontrollen stärker ins Detail und nutzt als Vorlage dafür unter anderem das bereits erwähnte Europäische Arzneibuch. Es gibt neben Grenzwerten Testmethoden vor. So nennt das Europäische Arzneibuch als Grenzwert für das Schimmelpilzgift Aflatoxin B1 maximal zwei Mikrogramm pro Kilogramm. Als Testmethode dient die Flüssigchromatographie, ein Verfahren, um Stoffgemische in Einzelbestandteile zu trennen.
Der Branchenverband mahnt allerdings auch Grenzen bei Kontrollen an. Beim Freizeitcannabis sollte der Staat aus seiner Sicht auf eine Übernahme der besonders strengen Good Manufacturing Practice (GMP) verzichten. Die GMP definiert die Qualitätsregeln für medizinisches Cannabis. Lizenzinhaber für den Handel mit Freizeitcannabis würden jedoch – so der Verband weiter – durch die GMP mit hohen Kosten konfrontiert. Sind die Qualitätsstandards zu hoch und Kontrollen zu aufwändig, könnte ein mit Schwarzmarktpreisen konkurrenzfähiges Angebot schwierig werden. Für die Politik wird es zur Gratwanderung, Sicherheit, Wirtschaftlichkeit und Preisbildung beim legalisierten Cannabis in Einklang zu bringen. Abzuwarten bleibt, wie gut diese Gratwanderung gelingt.
Neue Geschäftsmodelle, knapp am Heilmittelwerbegsetz vorbei
Das Angebot klang verlockend: Über eine neue App konnten sich Kunden mit teilnehmenden Apotheken nicht nur per Chat austauschen, sie konnten per App gleichzeitig Medikamente vorbestellen und dafür eine Belohnung kassieren. 50 Payback-Punkte, etwa 50 Cent wert, Belohnung waren pro Tag möglich. Einzige Bedingung: Die beauftragte Apotheke musste den Auftrag angenommen und als „abholbereit“ deklariert haben. Ob die Ware dann tatsächlich abgeholt wurde, spielte keine Rolle bei der Punktevergabe.
„Die App ist eines mehrerer Geschäftsmodelle aus letzter Zeit, mit denen Unternehmer sich als Bindeglied zwischen Kunde und Apotheke schalten“, sagt Christian Wagner, Fachanwalt für Medizinrecht, Vorsitzender der SGB V-Kommission beim Deutschen Sozialgerichtstag und Mitgründer von mediorbis. Aber: „Oft verstoßen solche Modelle gegen Gesetze“, sagt Wagner.
Ofenkrusti und Wasserwecken als Giveaway zum Blutdrucksenker
So urteilte in diesem Fall auch das Oberlandesgericht Karlsruhe und verwies auf das Heilmittelwerbegesetz (HWG). Darin heißt es: „Es ist unzulässig, Zuwendungen und sonstige Werbegaben (Waren oder Leistungen) anzubieten, anzukündigen oder zu gewähren oder als Angehöriger der Fachkreise anzunehmen (…)“ (HWG, §7, Abs. 1).
Das HWG soll u. a. verhindern, dass die Preisbindung bei rezeptpflichtigen Medikamenten durch Boni unterlaufen wird. Duldeten die Gerichte lange noch kleine Geschenke in einem Wert von weniger als einem Euro, gilt inzwischen eine Null-Toleranz-Justiz, an der in Darmstadt auch ein Apotheker scheiterte, der Gutscheine für Wasserwecken und Ofenkrusti beim Bäcker nebenan über den Tresen reichte.
Verstoßen Apotheken gegen Wettbewerbsrecht?
Entscheidend für das Urteil war auch die Frage, ob die in Aussicht gestellten Bonuspunkte den Arzneimittelverkauf ankurbeln sollen oder eher als allgemeine Unternehmensdarstellung zu verstehen sind. Für die Richter war die Sache klar: „Bei der gewährten Vergünstigung in Form von Punkten gehe es weder um die Anpreisung der Leistungen der Apotheken noch um eine Zuwendung aus anderen unternehmensbezogenen Gründen. Vielmehr schaffe sie einen Anreiz mit dem Ziel, die Abgabe von (u. a. rezeptpflichtigen) Arzneimitteln zu fördern.“ (Akz. 6 U 108/21)
Weiter heißt es in der Urteilsbegründung: „Das Verhalten der Beklagten weise den für die Anwendung des Heilmittelwerbegesetzes erforderlichen Produktbezug auf und sei auf die unzulässige Zuwendung einer Werbegabe gerichtet.“ Dabei war es für das Urteil unerheblich, ob es tatsächlich zu einem Verkauf gekommen ist.
Eine andere, für Apotheken wichtige Frage blieb in dem Prozess unbeantwortet: Verhalten sich Apotheken wettbewerbswidrig, wenn sie sich auf eine Kooperation mit einem Anbieter wie diesem App-Betreiber einlassen. Anwalt Wagner: „Es ist zumindest möglich. Apotheker sollten sich deshalb beraten lassen, bevor sie sich für derartige Kooperationen entscheiden.“
Nebenwirkungen gut sichtbar ins Schaufenster
Apotheker müssen viele Regeln aus dem Heilmittelwerbegesetz beachten, wenn es um eine öffentlichkeitswirksame Präsentation des eigenen Angebots geht. Das betrifft nicht nur ein mögliches Onlinemarketing, sondern auch Offlinewerbung wie die Gestaltung des Apotheken-Schaufensters. Wie bei anderen Varianten der Werbung sind Apotheker hier zu einigen Angaben verpflichtet, die das HWG ihnen vorschreibt. Dazu gehören Anwendungsgebiete, Gegenanzeigen und Nebenwirkungen präsentierter Arzneimittel. Eine Ausnahme von dieser Regel gibt’s nur bei Erinnerungswerbung.
Handelt es sich nicht um eine Erinnerungswerbung, müssen Nebenwirkungen & Co. ins Schaufenster. Natürlich nicht irgendwie. Laut Apothekenkammer Berlin müssen die Pflichtangaben im Schaufenster in einer „gut sichtbaren Höhe“ angebracht werden und zwar so, dass sie sich dem jeweiligen Arzneimittel klar zuordnen lassen, zu dem sie gehören.
Auch hier ist der Grat zwischen wettbewerbskonform und wettbewerbswidrig oft schmal. Fachanwalt Wagners Empfehlung: „Apotheker sollten sich für Werbemaßnahmen gut beraten lassen oder sich zumindest intensiv selbst mit dem gesetzlichen Rahmen beschäftigen, in dem sie sich bewegen dürfen. Ansonsten kann es sehr schnell Konflikte mit dem Gesetzgeber geben.“
Der Auftrag kommt von ganz unten: Mehrere Amtsgerichte haben beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) Normenkontrollanträge eingereicht, die eine Entscheidung über das Cannabis-Verbot im Betäubungsmittelgesetz (BtMG) nötig machen. Normenkontrollanträge (oder etwas salopper Richtervorlagen) werden erforderlich, wenn ein Fachgericht – in diesem Fall die Amtsgerichte – ein Gesetz, auf dessen Grundlage das Gericht eine Entscheidung treffen muss, für nicht verfassungskonform hält. Darüber kann nur das Bundesverfassungsgericht urteilen. Etwa 100 solcher Normenkontrollanträge erreichen die Bundesrichter jährlich. Dieser hat es in sich.
Das Bundesverfassungsgericht soll prüfen, ob Paragraf 29 (Abs. 1, Nr. 3) des Betäubungsmittelgesetzes mit dem Grundgesetz in Einklang zu bringen ist. Darin heißt es:
Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer (…) Betäubungsmittel besitzt, ohne zugleich im Besitz einer schriftlichen Erlaubnis für den Erwerb zu sein.
Die Amtsrichter sehen in ihren Anträgen Komplikationen mit dem im Grundgesetz verankerten Recht auf allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG): „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.“
Probleme sehen die Fachrichter auch in einem anderen Paragrafen des BtMG. In dem heißt es, es könne von der Verfolgung abgesehen werden, „wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre, kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht und der Täter die Betäubungsmittel lediglich zum Eigenverbrauch in geringer Menge anbaut, herstellt, einführt, ausführt, durchführt, erwirbt, sich in sonstiger Weise verschafft oder besitzt“. (§31a BtMG)
Was dem Rechtsempfinden vieler Menschen entsprechen mag, wird aber schwierig, wenn das Grundgesetz mit der Gleichbehandlung ins Spiel kommt: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“ Sind sie aber nach Ansicht der Amtsrichter im Moment möglicherweise nicht, denn der Handlungsspielraum bei der Strafverfolgung wird in jedem Bundesland anders ausgelegt.
„Das Bundesverfassungsgericht hat sich bereits mehrfach mit Cannabis beschäftigt“, sagt Christian Wagner, Fachanwalt für Medizinrecht, Mitgründer von mediorbis und Vorsitzender der SGB V-Kommission beim Deutschen Sozialgerichtstag. „Aber jetzt fällt das Gerichtsurteil in eine Zeit, in der die Politik eine Legalisierung auf dem Schirm hat. Das macht dieses Urteil so spannend.“
Es gibt kein Recht auf Rausch – sagen die Bundesrichter
Das Bundesverfassungsgericht beschäftigte sich bereits 1994 mit Cannabis. Damals stufte unter anderem die Berufungsstrafkammer des Landgerichts Lübeck Strafvorschriften des Betäubungsmittelgesetzes als verfassungswidrig ein. Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts argumentierte damals in seinem Urteil, dass es kein Recht auf Rausch gibt und dass nicht alle potenziell gleich schädlichen Drogen auch gleich behandelt werden müssen – zum Beispiel Alkohol und Cannabis.
2004 gab es einen erneuten Versuch, BtMG-Strafvorschriften von den Verfassungsrichtern überprüfen zu lassen, aber die Vorlage scheiterte. Die Richter sahen damals keine neuen Tatsachen, um ein Urteil zu fällen. Aber seither ist viel geschehen. Und je nachdem, wie die Bundesrichter entscheiden, könnte die politisch von der Regierung gewollte Cannabis-Legalisierung für den Freizeitbedarf Rücken- oder Gegenwind bekommen.
Schlupfloch in den UN-Konventionen
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts könnte auch international Weichen stellen. Bei Deutschlands Cannabis-Legalisierungs-Plänen entscheiden nämlich nicht nur deutsche Politiker. Deutschland ist unter anderem an das UN-Einheitsabkommen über psychotrope Substanzen gebunden und das lässt für einen Freizeitkonsum von Cannabis wenig Spielraum. Staaten wie Kanada und Uruguay haben jeweils eigene – Kritiker sagen „nicht zu Ende gedachte“ – Wege gewählt, um damit umzugehen und dennoch zu legalisieren.
Im Februar 2023 verwiesen die Verfassungsrichter zudem auf einen „Verfassungsvorbehalt“ in den UN-Konventionen. Er schafft Mitgliedsstaaten Spielräume. Sie ließen sich eventuell nutzen, wenn das Bundesverfassungsgericht das Cannabis-Verbot im BtMG für nicht verfassungskonform hält. „Es wird in jedem Fall sehr wichtig sein, sich international vorab gut abzusichern“, sagt Christian Wagner. „Je problematischer eine einmal vollzogene Legalisierung auf internationaler Ebene wird, desto eher wird sie politisch auch national zu einem Desaster für diejenigen, die sie initiiert haben.“
Energiepreise und Inflation schlagen sich deutlich auf die Eigenbeteiligung der Pflegebedürftigen in den stationären Pflegeeinrichtungen nieder. Das hat der Verband der Ersatzkassen, kurz vdek, in einer aktuellen Auswertung festgestellt. Für Pflegebedürftige, die bis zu zwölf Monate im Pflegeheim versorgt wurden, stiegen die Kosten auf durchschnittlich 2.411 Euro im Monat, das sind 278 Euro mehr als im Vorjahr. Pflegebedürftige, die länger als zwölf Monate im Heim verbringen, mussten durchschnittlich 2.183 Euro im Monat zuzahlen. Ein Plus von 232 Euro. Wer mehr als zwei Jahre im Pflegeheim verbrachte, musste 1.955 Euro monatlich und damit 186 Euro mehr aufbringen. Pflegebedürftige mit einer Aufenthaltsdauer über drei Jahre zahlten 1.671 Euro im Monat. Das sind 130 Euro mehr.
Löwenanteil pflegerische Kosten
Den Hauptanstieg (plus 25 Prozent) machen die pflegerischen Kosten aus. Und das, obwohl die Pflegebedürftigen seit Anfang des Jahres 2022 durch eine gesetzliche Neuregelung deutlich entlastet werden sollten. Seitdem beteiligen sich die Pflegekassen mit einem nach Aufenthaltsdauer gestaffelten Leistungszuschlag von 5 bis 70 Prozent an den Pflegekosten. Sie stellten hierfür in 2022 eine Gesamtsumme in Höhe von rund 3,4 Milliarden Euro zur Verfügung. Im laufenden Jahr werden es sogar deutlich über vier Milliarden Euro sein. Aber auch für Unterkunft und Verpflegung mussten Pflegebedürftige rund sieben Prozent mehr als im Vorjahr zahlen, was auf die deutlich gestiegenen Lebensmittelkosten zurückzuführen ist.
Kritik von der Stiftung Patientenschutz
Die gemeinnützige Deutsche Stiftung Patientenschutz fordert in diesem Zusammenhang Maßnahmen, die sofort wirken. Nach Ansicht der Interessenvertretung kann der allergrößte Teil der 21 Millionen Rentnerinnen und Rentner in Deutschland den Eigenanteil im Pflegeheim von 2.468 Euro nicht aus ihren Altersbezügen zahlen. An dem grundlegenden Problem ändert sich auch nichts im Laufe eines mehrjährigen Aufenthaltes. Pflegeheimbewohner werden, so die Stiftung, „somit finanziell massiv unter Wasser gedrückt.“ Und weiter: „In den letzten fünf Jahren hat sich der bundesweite Eigenanteil um rund 40 Prozent erhöht. Doch die Bundesregierung und der Ressortchef Karl Lauterbach schauen der Kostenexplosion weiter tatenlos zu. Den bislang leeren Versprechungen der Ampel-Koalition müssen endlich Taten folgen. Jeder Betroffene braucht ab sofort 300 Euro monatlich mehr.“
Was können Betroffene tun?
Sehr wenig, wie Christian Wagner, Gründer der Anwaltsplattform advomeda und Justiziar von mediorbis sagt: „Für den Eigenanteil im Pflegeheim muss fast das gesamte Vermögen aufgebracht werden. Das gilt für Barvermögen genauso wie für Immobilien oder zum Beispiel Aktien. Gelassen wird lediglich das sogenannte Schonvermögen in Höhe von 10.000 Euro.“ Der Betrag von 10.000 Euro gilt dabei auch für den Ehepartner und so summiert sich das Schonvermögen für beide auf 20.000 Euro. Wenn der Pflegebedürftige eine Immobilie besitzt, in der der Ehepartner noch wohnt, zählt sie ebenfalls zum Schonvermögen, wenn sie als angemessen einzustufen ist.
Was passiert, wenn am Ende trotzdem zu wenig Geld da ist? „Dann bleibt nach Vermögen und Rente zur Finanzierung der Pflege nur noch das Taschengeld in Höhe von 121,23 Euro“, sagt Christian Wagner, „und der Antrag auf „Hilfe zur Pflege“ (§§ 61 ff. SGB XII) beim Sozialamt“.
Arbeitszeit erfassen: Vertrauen alleine reicht nicht
Die neuen Pflichten sind auch Arbeitnehmerschutz
In seiner Urteilsbegründung (1) beruft sich das Bundesarbeitsgericht (BAG) jetzt unter anderm mit einem 2019 gefällten Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) und mit Paragraf 3 (Absatz 2, Nummer 1) des Arbeitsschutzgesetzes. Laut Gesetz müssen Arbeitgeber die erforderlichen Mittel bereitstellen, um die nötigen Arbeitsschutz-Maßnahmen umzusetzen. Zu diesen Maßnahmen gehört unter anderem eine begrenzte Arbeitszeit.
Eine Grundlage für die Arbeitszeitregeln ist die Arbeitszeitrichtlinie der Europäischen Union (Richtlinie 2003/88/EG). Sie fordert in einem Zeitraum von 24 Stunden „eine Mindestruhezeit von elf zusammenhängenden Stunden“. Das deutsche Arbeitszeitgesetz setzt die Richtlinie unter anderem für zivilrechtliche privatwirtschaftliche Arbeitsverhältnisse um. Mit der geforderten Arbeitszeiterfassung können Behörden kontrollieren, ob die Arbeitgeber die verbindlichen Vorgaben für Arbeitszeiten einhalten.
„Die verbindliche Arbeitszeiterfassung ist eine gute Sache“, urteilt Christian Wagner, Mitgründer von mediorbis, Fachanwalt für Medizinrecht und Vorsitzender der SGB V-Kommission beim Deutschen Sozialgerichtstag. „Allerdings sollte die Politik die Pflicht zur Zeiterfassung künftig so regeln, dass sie Unternehmen möglichst wenig daran hindert, flexible Formen der Arbeit auszutesten“, fährt er fort.
Bei der Arbeitszeiterfassung bleibt Spielraum
Tatsächlich bleibt den einzelnen Staaten der Europäischen Union ein Spielraum, Regeln der Arbeitszeiterfassung anhand eigener Vorstellungen auszugestalten. Sie können zum Beispiel entscheiden, für welche Unternehmen sie die Pflicht zur Zeiterfassung einschränken. Abzuwarten bleibt, ob und inwieweit das deutsche Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) solche Freiräume nutzt. Das Ministerium hat für das erste Quartal 2023 Vorschläge angekündigt, wie es die neuen Regeln zur Arbeitszeiterfassung in das Arbeitszeitgesetz integrieren möchte (2).
Darauf warten können Arbeitgeber nicht. Sie sind laut BAG-Urteil ohne Übergangsfrist dazu verpflichtet, ein System zu Arbeitszeiterfassung einzuführen. Dabei reicht es nicht aus, das System nur bereitzustellen. Sie sind zusätzlich dafür verantwortlich, dass es tatsächlich genutzt wird und dass Arbeitstage sowie der Beginn, die Dauer und das Ende der jeweiligen Arbeitszeiten dokumentiert werden.
Relativ frei sind sie derzeit dagegen in der Wahl der Methode, wie sie die Arbeitszeit dokumentieren. Ein elektronisches System ist nicht vorgeschrieben. Die Arbeitszeit kann deshalb auch auf Papier erfasst werden. Das kann sich jedoch ändern, wenn gesetzliche Regeln anderslautende Details definieren.
Vorsicht: Beitragsnachzahlungen
Durch die Pflicht zur Arbeitszeitzeiterfassungen drohen für manch einen Arbeitgeber Probleme mit der Deutschen Rentenversicherung. Stellt sie bei einer Betriebsprüfung Diskrepanzen zwischen der ausgezahlten Summe an Löhnen und Gehältern und den dokumentierten Arbeitszeiten fest, drohen Beitragsnachzahlungen bei den Sozialversicherungsbeiträgen. Und bei fehlender Zeiterfassung im Betrieb werden die Arbeitszeiten eventuell sogar mit einem für das Unternehmen negativen Ergebnis geschätzt. „Das Ganze ist bisweilen auch strafrechtlich relevant“, warnt Christian Wagner.
Besteht der Verdacht, dass ein Arbeitgeber Arbeitszeiten bewusst nicht dokumentiert, um der Einzugsstelle Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung vorzuenthalten, droht im ungünstigsten Fall eine Klage auf Basis von Paragraf 266a des Strafgesetzbuches (Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt). „Die Gefahr, dass so etwas geschieht ist zwar nicht sehr groß. Sie sollte aber auch nicht unterschätzt werden“, sagt Christian Wagner.
Apothekerkammer vs. DocMorris: Schlappe für den Doc
Vorort-Versorgung ist ein schützenswertes Gut
Die Apothekerkammer Nordrhein hatte DocMorris im Herbst 2021 abgemahnt und dazu aufgefordert, das oben beschriebene Plattformkonzept aufzugeben. DocMorris klagte daraufhin und forderte vom Gericht, die Unterlassungsforderung der Apothekerkammer für unzulässig zu erklären. Von der Kammer gab es daraufhin eine Widerklage. Am 8. Dezember 2022 urteilte das Landgericht Karlsruhe in dieser Sache (Aktenzeichen 13 O 17/22 KfH): Die Apothekerkammer war berechtigt, den Online-Marktplatz in der existierenden Form untersagen zu lassen (1).
Das Gericht berief sich auf die Paragrafen 8 (Satz 2) und 11 (Absatz 1a) im Apothekengesetz. Es sah das Risiko einer gefährdeten Versorgung der Bevölkerung mit wohnortnahen Apothekendienstleistungen, wenn Marktplätze wie der der Klägerin erst einmal am Markt etabliert sind. Für DocMorris bleibt nach dem Urteil eine Berufung gegen das Landgerichtsurteil.
„Versandapotheken und innovative Online-Modelle für Vertrieb und Handel im Gesundheitswesen sind eigentlich eine gute Sache“, sagt der auf Medizinrecht spezialisierte Rechtsanwalt Christian Wagner aus Karlsruhe. Als Beispiel verweist Wagner auf die B2B-Online-Plattform cannorbis.de. Hier schließen sich Apotheken kostenlos zu einer Einkaufsgemeinschaft für Medizinalcannabis zusammen, um Rabatte für ein größeres Handelsvolumen zu bekommen. „Schwierig wird es aber, wenn diese innovativen Online-Modelle die Existenz der wichtigen Vorort-Apotheken gefährden“, sagt Christian Wagner, der auch Vorsitzender der SGB V-Kommission beim Deutschen Sozialgerichtstag ist. „Im Fall von cannorbis.de werden die Vorort-Apotheken dagegen gestärkt, weil sie – wie die großen Player – höhere Einkaufs-Rabatte bekommen können.“
14 Millionen Euro Schadensersatz für DocMorris
Der Rechtsstreit der Apothekerkammer Nordrhein mit DocMorris war nicht der erste zwischen den beiden Parteien. Im Juli 2019 wies das Landgericht Düsseldorf eine Klage der niederländischen Versand-Apotheke gegen die Apothekerkammer ab (Aktenzeichen 15 O 436/16). Die Apothekerkammer hatte DocMorris in der Zeit vor 2016 mit einstweiligen Verfügungen zur Aufgabe einiger Vertriebsideen gebracht. Zu diesen Ideen gehörten Automobilclub-Mitgliedschaften und Hotelgutscheine, mit denen Kunden geködert werden sollten.
Ein Urteil aus 2016 veränderte die Gesamtsituation. Damals entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH): Das deutsche Gebot einheitlicher Abgabepreise für rezeptpflichtige Arzneimittel ist nicht verbindlich für europäische Versandapotheken. Daraufhin sah sich DocMorris gestärkt, gegen die einstweiligen Verfügungen vorzugehen und 14 Millionen Euro Schadensersatz zu fordern.
Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat den Anspruch auf Schadensersatz für DocMorris im März 2022 grundsätzlich anerkannt (Quelle: Pharmazeutische Zeitung). Aber das ist noch nicht das Ende der Geschichte. Am 9. März 2023 wird der Erste Senat des Bundesgerichtshofs mündlich in dieser Sache verhandeln.
Gewinnspiele gehören nicht in die Apotheke
Ein weiterer Fall: 2015 hatte DocMorris mit einem Gewinnspiel geworben, bei dem Kunden, die ein Rezept an die Versandapotheke übermittelten, unter anderem ein E-Bike gewinnen konnten. Die Apothekerkammer Nordrhein klagte dagegen und gewann. 2018 untersagte das Oberlandesgericht Frankfurt am Main DocMorris, ein derartiges Gewinnspiel erneut zu veranstalten (Aktenzeichen MPR 2019, 85). Später hat der Bundesgerichtshof dieses Urteil nach Absprache mit dem Europäischen Gerichtshof bestätigt (Aktenzeichen I ZR 214/18) (2).
„Der Gesetzgeber setzt allen Akteuren aus gutem Grund enge Grenzen bei Werbung und Marketing, denn die Gesundheitsbranche ist keine wie jede andere“, urteilt Anwalt Wagner. „Deshalb ist es besonders wichtig, sich geschickt innerhalb der Grenzen zu bewegen und vorhandene Möglichkeiten auszuschöpfen.“ Die gerichtlich ausgetragenen Streitigkeiten zwischen DocMorris und der Apothekerkammer Nordrhein zeigen, dass das bisweilen gar nicht so einfach ist.
Mit dem Slogan Samstags gehört Vati mir warben die Gewerkschaften ab 1956 für die Einführung der Fünf-Tage- und 40-Stunden-Woche. Seitdem ist der Samstag – oder in Nord- und Ostdeutschland der Sonnabend – gefühlt ganz klar Teil des Weekends. Das gilt zumindest für die meisten Berufe in Gewerbe und Handwerk. Der Gesetzgeber hat aber eine eigene Auffassung und die lautet in § 3 des Bundesurlaubsgesetzes (BurlG): „Als Werktage gelten alle Kalendertage, die nicht Sonn- oder gesetzliche Feiertage sind.“
In vielen Tarifverträgen ist der Samstag Werktag
Wichtig ist die Frage, ob Samstag ein Arbeitstag ist, nicht nur im täglichen Praxisbetrieb, sondern die Antwort hat auch Einfluss auf die Länge des Urlaubs. Mindestens 24 „Werktage“ sagt hier das Bundesurlaubsgesetz und zählt den Samstag bei Urlaubszeit mit dazu. Oder anders gesagt: Die MTA, die montags bis freitags in der Praxis arbeitet, hat also – aus der eigenen täglichen Wahrnehmung betrachtet – eigentlich nur 20 Urlaubstage. Übrigens: In einigen Tarifverträgen ist der Samstag sogar ausdrücklich als Werktag festgeschrieben.
Blitzer blitzen auch am Samstag
Beim Schritt raus aus der Praxis oder dem Krankenhaus geht die Frage nach dem Werktag mit und ploppt beim Parkschild wieder hoch: an Werktagen muss ev. bezahlt werden, und an Werktagen gelten ev. andere Geschwindigkeitsbegrenzungen. In beiden Fällen gilt wahrscheinlich, dass der Samstag ein Werktag ist. Sie müssen, so gut wie immer, auch am Samstag befolgt werden. Das Oberlandesgericht Hamm hat in einem entsprechenden Streitfall so entschieden (AZ 2 Ss OWi 127/01). Ein Autofahrer war hier an einem Samstag auf einer Straße geblitzt worden, für die an Werktagen eine Geschwindigkeitsbegrenzung gilt.
Behörden bleiben fast geschlossen geschlossen
Wir haben es im Alltag vielfach mit Fristen zu tun, die sich ebenfalls an den Werktagen orientieren und hier sind die Regelungen unterschiedlich. Bei Behörden – die am Samstag fast geschlossen geschlossen sind – zählt der Samstag nicht als Werktag. Eine behördliche Frist endet also nicht an einem Samstag, sondern am darauffolgenden Montag. Sehr ähnlich ist das auch bei Banken und gilt hier vorrangig bei Überweisungen: Zumeist findet am Sonnabend keine Überweisung statt, sondern erst am nächsten Arbeitstag und das ist der Montag. Aus der Reihe tanzt aber die Post. Sie hat bekanntlich auch am Samstag geöffnet und deshalb müssen Pakete auch an einem Samstag von der Filiale oder Packstation abgeholt werden.
Rechtliche Lage: eindeutig nicht eindeutig
„Die Miete soll bis zum dritten Werktag des neuen Monats überwiesen sein – und was, wenn der ein Samstag ist? Der Bundesgerichtshof sagt, dass hier der Sonnabend nicht zählt (BGH, Urteil vom 13.07.2010, Aktenzeichen VII ZR 129/09 und VII ZR 291/09), sondern nur die Tage von Montag bis Freitag. Warum? Weil die Banken in der Regel – wie oben zu lesen – am Samstag keine Überweisungen vornehmen. Aber: Bei Kündigungen von Mietverträgen gilt der Samstag wieder als Werktag und sollte bei der Kündigungsfrist so einberechnet werden, auch wenn die rechtliche Lage hier eindeutig nicht eindeutig ist.
Preisgebundene Arzneien: Rabatt-Bons nicht zulässig
50 Cent als Treue-Dankeschön
Das System war pfiffig und gut um die Ecke gedacht – auch wenn es jetzt verboten wurde: Ein niedersächsischer Apotheker hatte an seine Kunden Bonus-Bons im Wert von 50 Cent als Treue-Dankeschön ausgegeben. Die Gutscheine konnten beim Kauf nicht preisgebundener Medikamente eingelöst werden. Dagegen wäre nichts einzuwenden. Problematisch wurde es aber, weil Kunden die Bonus-Cent auch bekamen, wenn sie verschreibungspflichtige, also preisgebundene Medikamente kauften.
2017 verbot die Apothekenkammer Niedersachsen dem Apotheker mit einer Untersagungsverfügung die Abgabe der Bons beim Verkauf rezeptpflichtiger Arzneimittel. Der Apotheker wehrte sich mit einer Klage beim Verwaltungsgericht Lüneburg und scheiterte. Der Rechtsstreit zog sich bis zu einem Urteil im Juni 2022. Mit ihm lehnte das Oberverwaltungsgericht den Antrag des Apothekers ab, eine Berufung zuzulassen.
„Die Gerichte haben die Arzneimittelpreisbindung mit ihren Urteilen gegen Versuche verteidigt, sie mit Wertbonsystemen auszuhöhlen“, urteilt Christian Wagner, Mitgründer von mediorbis, Fachanwalt für Medizinrecht und Vorsitzender der SGB V-Kommission beim Deutschen Sozialgerichtstag. „Allerdings festigen die Urteile auch einen Nachteil der Apotheken mit Sitz in Deutschland in der Konkurrenz zu Versandapotheken aus dem EU-Ausland.“
In Deutschland verboten, im EU-Ausland nicht
Die Urteile aus dem Jahr 2017 fielen in eine Zeit, in der Versandapotheken aus dem EU-Ausland etwas durften, was deutschen Apothekern verboten war: Preisnachlässe auf verschreibungspfichtige Arzneimittel gewähren. Für deutsche Apotheken galt damals das Arzneimittelgesetz, das in Paragraph 78 die Möglichkeit einer Arzneimittelpreisbindung regelt. Für Versandapotheken, die ihren Sitz außerhalb von Deutschland im EU-Ausland haben, gelte die Arzneimittelpreisbindung aber nicht. So urteilte der Europäische Gerichtshof (EuGH) am 19. Oktober 2016 in einem vielbeachteten Urteil (Aktenzeichen: C-148/15). Die Arzneimittelpreisbindung erschwere ausländischen Versandapotheken den Zugang zum deutschen Markt und sei nicht durch Gründe des Gesundheitsschutzes gerechtfertigt, argumentierte der EuGH damals. Im preislichen Wettbewerb sah er die einzige Möglichkeit für ausländische Anbieter, mit deutschen Apotheken zu konkurrieren.
Höhe des Rabatts spielt keine Rolle
Deutsche Apotheken und Versandapotheken aus dem EU-Ausland werden ungleich behandelt. Das sahen auch die deutschen Gerichte in ihren Urteilen. Sie verneinten jedoch eine unrechtmäßige Diskriminierung und urteilten, dass die Arzneimittelpreisbildung Apotheken mit Sitz in Deutschland auch indirekte Preisnachlässe über Wertbons verbietet. Bedeutungslos ist dabei der Name der Bons. Dass sie zwischenzeitlich Wege-Bons genannt wurden, war der gescheiterte Versuch, sie als legale Belohnung für den Weg des Kunden zur Apotheke zu etablieren. Auch ihr vergleichsweise geringer Wert von 50 Cent spielte bei den Urteilen keine Rolle.
Heute einheitlicher Preis für alle
Der deutschen Politik blieb die Ungleichbehandlung von deutschen Apotheken und Apotheken aus dem EU-Ausland ein Dorn im Auge. Sie reagierte 2020 mit dem Gesetz zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken. Es verankerte die Arzneimittelpreisbindung mit einem Zusatz zu Paragraph 129 im Fünften Sozialgesetzbuch und etablierte verbindliche Preise erneut für alle Apotheken: auch für Versandapotheken aus dem EU-Ausland. Unklar blieb jedoch, wie die Europäische Union darauf reagiert, jedenfalls bis zum September 2021. Damals stellte sie das gegen Deutschland wegen der Arzneimittelpreisbindung laufende Vertragsverletzungsverfahren ein. Sie habe damit Jens Spahns Trick akzeptiert, die „Preisbindung für verschreibungspflichtige Arzneimittel nicht mehr im Arzneimittelrecht, sondern im Sozialrecht zu verankern“, urteilt die Deutsche Apotheker Zeitung (DAZ).