Preisgebundene Arzneien: Rabatt-Bons nicht zulässig
50 Cent als Treue-Dankeschön
Das System war pfiffig und gut um die Ecke gedacht – auch wenn es jetzt verboten wurde: Ein niedersächsischer Apotheker hatte an seine Kunden Bonus-Bons im Wert von 50 Cent als Treue-Dankeschön ausgegeben. Die Gutscheine konnten beim Kauf nicht preisgebundener Medikamente eingelöst werden. Dagegen wäre nichts einzuwenden. Problematisch wurde es aber, weil Kunden die Bonus-Cent auch bekamen, wenn sie verschreibungspflichtige, also preisgebundene Medikamente kauften.
2017 verbot die Apothekenkammer Niedersachsen dem Apotheker mit einer Untersagungsverfügung die Abgabe der Bons beim Verkauf rezeptpflichtiger Arzneimittel. Der Apotheker wehrte sich mit einer Klage beim Verwaltungsgericht Lüneburg und scheiterte. Der Rechtsstreit zog sich bis zu einem Urteil im Juni 2022. Mit ihm lehnte das Oberverwaltungsgericht den Antrag des Apothekers ab, eine Berufung zuzulassen.
„Die Gerichte haben die Arzneimittelpreisbindung mit ihren Urteilen gegen Versuche verteidigt, sie mit Wertbonsystemen auszuhöhlen“, urteilt Christian Wagner, Mitgründer von mediorbis, Fachanwalt für Medizinrecht und Vorsitzender der SGB V-Kommission beim Deutschen Sozialgerichtstag. „Allerdings festigen die Urteile auch einen Nachteil der Apotheken mit Sitz in Deutschland in der Konkurrenz zu Versandapotheken aus dem EU-Ausland.“
In Deutschland verboten, im EU-Ausland nicht
Die Urteile aus dem Jahr 2017 fielen in eine Zeit, in der Versandapotheken aus dem EU-Ausland etwas durften, was deutschen Apothekern verboten war: Preisnachlässe auf verschreibungspfichtige Arzneimittel gewähren. Für deutsche Apotheken galt damals das Arzneimittelgesetz, das in Paragraph 78 die Möglichkeit einer Arzneimittelpreisbindung regelt. Für Versandapotheken, die ihren Sitz außerhalb von Deutschland im EU-Ausland haben, gelte die Arzneimittelpreisbindung aber nicht. So urteilte der Europäische Gerichtshof (EuGH) am 19. Oktober 2016 in einem vielbeachteten Urteil (Aktenzeichen: C-148/15). Die Arzneimittelpreisbindung erschwere ausländischen Versandapotheken den Zugang zum deutschen Markt und sei nicht durch Gründe des Gesundheitsschutzes gerechtfertigt, argumentierte der EuGH damals. Im preislichen Wettbewerb sah er die einzige Möglichkeit für ausländische Anbieter, mit deutschen Apotheken zu konkurrieren.
Höhe des Rabatts spielt keine Rolle
Deutsche Apotheken und Versandapotheken aus dem EU-Ausland werden ungleich behandelt. Das sahen auch die deutschen Gerichte in ihren Urteilen. Sie verneinten jedoch eine unrechtmäßige Diskriminierung und urteilten, dass die Arzneimittelpreisbildung Apotheken mit Sitz in Deutschland auch indirekte Preisnachlässe über Wertbons verbietet. Bedeutungslos ist dabei der Name der Bons. Dass sie zwischenzeitlich Wege-Bons genannt wurden, war der gescheiterte Versuch, sie als legale Belohnung für den Weg des Kunden zur Apotheke zu etablieren. Auch ihr vergleichsweise geringer Wert von 50 Cent spielte bei den Urteilen keine Rolle.
Heute einheitlicher Preis für alle
Der deutschen Politik blieb die Ungleichbehandlung von deutschen Apotheken und Apotheken aus dem EU-Ausland ein Dorn im Auge. Sie reagierte 2020 mit dem Gesetz zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken. Es verankerte die Arzneimittelpreisbindung mit einem Zusatz zu Paragraph 129 im Fünften Sozialgesetzbuch und etablierte verbindliche Preise erneut für alle Apotheken: auch für Versandapotheken aus dem EU-Ausland. Unklar blieb jedoch, wie die Europäische Union darauf reagiert, jedenfalls bis zum September 2021. Damals stellte sie das gegen Deutschland wegen der Arzneimittelpreisbindung laufende Vertragsverletzungsverfahren ein. Sie habe damit Jens Spahns Trick akzeptiert, die „Preisbindung für verschreibungspflichtige Arzneimittel nicht mehr im Arzneimittelrecht, sondern im Sozialrecht zu verankern“, urteilt die Deutsche Apotheker Zeitung (DAZ).
Kann oder muss ein Arzt den Patientenwillen ignorieren? Jein
„Die Zähne müssen raus“
Manchmal dürfen Ärzte den Patientenwillen nicht nur ignorieren. Sie müssen es sogar. Sehr plakativ zeigt das ein Zahnmedizin-Fall aus den späten 70er Jahren. Damals forderte eine Frau mit chronischem Kopfschmerz einen Zahnarzt auf, ihr alle Zähne mit einer Füllung zu ziehen. Aus ihrer Sicht waren diese Zähne die Ursache ihrer Schmerzen. Medizinisch war diese These nicht haltbar.
Dennoch zog der Arzt der Frau alle Zähne im Oberkiefer. Dass er ihr dabei aufgrund eines Missverständnisses auch nicht plombierte Zähne entfernt hat, ist für den Fall nebensächlich. Das Entscheidende: Laut eines Urteils des Bundesgerichtshofs (BGH) hat der Patientin die erforderliche Urteilskraft für eine eigenverantwortliche Entscheidung gefehlt. Der Zahnarzt hätte ihr die Zähne deshalb nicht ziehen dürfen.
„Hier geht es um einen Fall, bei dem die Patientin eine aus ärztlicher Sicht unsinnige Behandlung einfordert“, sagt Christian Wagner, Mitgründer von mediorbis, Fachanwalt für Medizinrecht und Vorsitzender der SGB V-Kommission beim Deutschen Sozialgerichtstag. „In solchen Fällen entscheidet der Arzt sehr oft richtig, wenn er die Behandlung verweigert“, urteilt er. „Komplizierter wird die Situation, wenn der Patient eine aus ärztlicher Sicht notwendige Behandlung verweigert.“
Patientenwillen: Entscheidend ist Einwilligungsfähigkeit
Der hohe Wert des Patientenwillen bei medizinischen Behandlungen ergibt sich aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB, Paragraf 630d). Grundsätzlich gilt: Der Arzt darf den Patienten in der Regel nur auf eine Art therapieren, in die der Patient eingewilligt hat. Fähig zu dieser Einwilligung ist der Patient, wenn er Bedeutung, Tragweite und Risiko der ärztlichen Maßnahme erkennt und versteht. Deshalb ist das Aufklärungsgespräch zwischen Arzt und Patient wichtig. Der Arzt muss ihm erklären, was er vorhat. Und nur, wenn der Patient es versteht, kann er einwilligungsfähig sein.
Fehlen kann die Einwilligungsfähigkeit des Patienten aber auch aus Gründen wie Minderjährigkeit, Alkoholkonsum oder Demenz. Die Betonung liegt auf kann. So gibt es zum Beispiel keinen festgelegten Promillewert, ab der ein Mensch im medizinischen Bereich als nicht mehr einwilligungsfähig gilt. Der Arzt muss also im Einzelfall entscheiden, ob ein geäußerter Patientenwille verbindlich ist oder nicht. Das ist mitunter sehr schwierig.
„Ich will kein fremdes Blut“
Ärzte dürfen sich über den Patientenwillen hinwegsetzen, wenn der Patient einwilligungsunfähig ist. Ausnahme: Es existiert so etwas wie eine Patientenverfügung aus einer Zeit, in der er einwilligungsfähig war, oder es darf eine andere Person (zum Beispiel ein Betreuer) für ihn entscheiden. Lehnt ein einwilligungsfähiger Patient eine Behandlung ab, ist das für den Arzt dagegen oft bindend. Das gilt auch dann, wenn ein einwilligungsfähiger Patient eine aus ärztlicher Sicht notwendige Bluttransfusion ablehnt. Der Arzt muss über die Einwilligungsfähigkeit des Patienten dann unter Umständen in kürzester Zeit entscheiden. Im Extremfall entstehen dabei Situationen, die mit dem ärztlichen Selbstverständnis kaum vereinbar ist. Ärzte müssen den Patientenwillen unter Umständen selbst dann berücksichtigen, wenn der Patient höchstwahrscheinlich ohne die Bluttransfusion stirbt (Beispielurteil aus 2003).
Im Zweifelsfall ist eine rechtliche Beratung gut
Die meisten Fälle in der ärztlichen Praxis stellen Ärzte nicht vor derartige Entscheidungen. Aber auch der gewöhnliche Praxis- und Klinikalltag bietet bei Fragen rund um den Patientenwillen Herausforderungen. Die Bundesärztekammer hat 2019 deshalb Hinweise und Empfehlungen herausgebracht, wie Ärzte mit Zweifeln an der Einwilligungsfähigkeit erwachsener Patienten umgehen sollten. Bleibt in einem Zweifelsfall Zeit für die ärztliche Entscheidung, kann zudem eine medizinrechtliche Beratung sinnvoll sein.
Werbung für Abtreibung? Was Frauenärzte jetzt wissen müssen
Streichung des Paragraph 219a sehr wahrscheinlich
„Die Bereitstellung von Informationen durch Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen – auch außerhalb des persönlichen Beratungsgespräch – stellt für betroffene Frauen eine wichtige Entscheidungshilfe dar. Es ist höchste Zeit geworden, dass Ärzte in so einer schwierigen Situation Frauen unterstützen können, ohne Strafverfolgung befürchten zu müssen“, sagt Medizinrechtler Christian Wagner. Die Streichung des Parapgraphs 219a muss als Gesetzentwurf noch den Bundestag und den Bundesrat passieren. Es gilt aber als sehr wahrscheinlich, dass er angenommen wird.
Auch strafgerichtliche Urteile, die diesbezüglich nach dem 3. Oktober 1990 ergangen sind, sollen dann aufgehoben und die Verfahren eingestellt werden. Wagner weiß: „An verurteilten Ärzten haftete vor allem ein Strafmakel, der sie mit Blick auf ihr Berufsethos stark belastet. Davon nun befreit zu werden, ist ein überfälliger Schritt.“
Irreführende und anpreisende Werbung bleibt verboten
Konservative Politiker äußerten sich jedoch besorgt: Eine unkontrollierte Werbetrommel für Abtreibung wurde von manchen beschworen. Doch das sei absolut nicht zu befürchten, entkräftet Christian Wagner: „Begleitende Änderungen des Heilmittelwerbegesetzes (HWG) sollen gewährleisten, dass auch die Werbung für medizinisch nicht indizierte Schwangerschaftsabbrüche künftig nur unter den strengen Bedingungen des HWG erlaubt ist.“
Das Heilmittelwerbegesetz regelt generell die Werbemöglichkeiten für Medizinprodukte und -verfahren. Irreführende Werbung für bestimmte Therapieformen oder Medikamente sind demnach schon heute nicht erlaubt. Ärzte dürfen also auch nach der Gesetzänderung auf ihrer Website, in Prospekten oder anderen Medien immer nur informieren und aufklären, nicht im herkömmlichen Sinne werben.
Das gilt auch für Schwangerschaftsabbrüche. Medizinanwalt Wagner weiter: „Auch nach der Streichung des §219a StGB dürfen Ärztinnen und Ärzte natürlich keine echte Werbung für Schwangerschaftsabbrüche machen, sondern lediglich sachlich informieren. Denn anpreisende oder grob anstößige Werbung ist nach dem ärztlichen Standesrecht verboten und bleibt es auch. Auch am geltenden Schutz ungeborenen Lebens ändere sich nichts.“
Aufklären – Ja!, Werben – Nein!
Zum Thema Schwangerschaftsabbruch darf aufgeklärt und sachlich informiert werden, nicht geworben.
Was bedeutet das konkret? Christian Wagner gibt ein Beispiel: „Sachliche Informationsvergabe über den medikamentösen oder operativen Ablauf, etwaige Komplikationen und Alternativen sind jetzt möglich. Das darf man auf der Website oder in Broschüren kommunizieren und hilft dabei, dass Frauen in einer schwierigen Situation eine informierte Entscheidung treffen können. Werbung zur Abtreibung im harmonischen Wohlfühl-Ambiente oder für die risikoarme Wunderpille wäre als irreführend und anpreisend einzustufen und bleibt verboten.“
Auch das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb spielt hier noch mit hinein: Wenn Werbung wegen ihres Inhaltes an die Grenze der Menschenwürde stößt, wird gegen §3 dieses Gesetzes verstoßen. „Werbung für Mittel, Gegenstände oder Verfahren, die zum Abbruch einer Schwangerschaft geeignet sind, bleibt also in diesem Sinne verboten. Aufklären, welche Medikamente eingesetzt werden und wie sie wirken: Ja. Werbung dafür machen: Nein.“
Der Grat dabei ist schmal und für Mediziner nicht immer klar einzuschätzen. Ärzte-Anwalt und mediorbis-Experte Wagner rät Gynäkologen, die diesbezüglich ihr Infomaterial und ihre Websiteinhalte verändern wollen, einen Fachanwalt für Medizinrecht darüber schauen zu lassen. So seien sie definitiv auf der sicheren Seite.
130.000 Betroffene: Lieferengpass bei Brustkrebsmedikament
Produktion nicht mehr wirtschaftlich – Kassen zahlen nur 8,80 Euro pro Packung
Tamoxifen gilt laut Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) als versorgungsrelevanter Wirkstoff. Das SERM-Präparat (selektiver Estrogenrezeptormodulator) wird zur adjuvanten oder auch ergänzenden Therapie von hormonrezeptor-positiven Brustkrebsen nach der Primärbehandlung eingesetzt. Generikahersteller wie Hexal, Aliud und Heumann sitzen auf dem Trockenen. Der Grund: Mehrere Zulieferer haben die Produktion eingestellt. Die Herstellung sei wirtschaftlich nicht mehr rentabel gewesen.
„Das hängt damit zusammen, welche Verträge Krankenkassen und Industrie miteinander schließen und ob und welche staatlichen Regulatorien einwirken“, erklärt Medizinanwalt Christian Wagner. „Preisdrücker wie Rabattverträge sind zwischen Krankenkassen und Pharmakonzernen üblich. Manchmal kann das auch gut sein, damit zu teure Preise der Hersteller nicht unser Gesundheitssystem leersaugen. Im Fall von lebensrettenden, knappen Medikamenten ist das natürlich verkehrt.“
Für eine 100-er-Packung Tamoxifen erhalten die Hersteller von den Krankenkassen gerade mal 8,80 Euro. Eine wirtschaftliche Produktion und Lieferkette ist zu diesem Preis kaum möglich, daher ziehen sich nun immer mehr Produzenten aus diesem Markt zurück. Wie kann das bei lebensrettenden Medikamenten sein? Hat die Politik hier versagt?
„Die Politik kann den Pharmaunternehmen nicht vorschreiben, wo sie produzieren“, stellt Medizinjurist Wagner klar. „Inzwischen gibt es kaum noch Produktion in Europa, sie wird nach China oder Indien ausgelagert.“ Sein Vorschlag: „Damit sich die Rahmenbedingungen ändern, könnte es Regeln geben, dass man im Notfall von der Rabattbindung abweichen darf. Auch ein Exportverbot bei drohendem Versorgungsengpass in Deutschland wäre eine Möglichkeit.“
Ein Recht auf das Medikament gibt es nicht
Wenn ein Medikament nicht lieferbar ist, besteht kein Haftungsanspruch gegen den Hersteller oder Arzt
Von Seiten der Pharmaunternehmen ist zu hören, dass mit Hochdruck daran gearbeitet werde, die Produktionspläne bei denjenigen Tamoxifen-Zulieferern, die die Produktion noch nicht eingestellt haben, kurzfristig zu ändern. Das setze aber voraus, dass wiederum andere Präparate hintan gestellt werden. Ein fataler Missstand bei dem Ganzen: „Die Unternehmen sind aktuell nicht gesetzlich zu einer Vorratslagerung verpflichtet“, erklärt Medizinanwalt Wagner und fordert: „Das muss sich ändern.“
Patientinnen, die auf das Präparat eingestellt und angewiesen sind, sind jetzt in Sorge. Haben sie oder ihre behandelnden Ärzte ein Recht, die Versorgung mit dem Medikament einzuklagen? „Wenn ein Medikament nicht lieferbar ist und auch kein Nachahmerpräparat zur Verfügung steht, bleibt dem Patienten nichts anderes übrig, als mit seinem Arzt und Apotheker eine alternative Behandlungsmöglichkeit zu besprechen“, stellt Christian Wagner klar. „Einen Haftungsanspruch gegen den Arzt, gegen die Klinik oder gegen den Hersteller gibt es nicht.“
Lieferengpass ist kein realer Versorgungsengpass
Gleichzeitig beruhigt er die Betroffenen: „Dass dieser Lieferengpass so schnell auffällt, liegt an einem Monitoring des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte. Es informiert dadurch frühzeitig die Öffentlichkeit. Lieferengpass definiert sich dabei dadurch, dass eine über zwei Wochen hinausgehende Auslieferung im üblichen Umfang nicht gewährleistet ist. Dass es aber dann zu einem realen Versorgungsengpass kommt, ist wirklich selten. Akut besteht noch keine Gesundheitsgefahr für Patienten und ich hoffe, dass, wenn die reale Versorgung gefährdet und keine Alternativpräparate zur Verfügung stehen, die Politik rechtzeitig eingreifen wird.“
Doch Rechtsanwalt Wagner weiß auch: „Schlussendlich geht es immer ums Geld, ob für die Krankenkassen, den Staat oder die Industrie. Es ist ein Milliarden-Geschäft mit unterschiedlichen Playern.“ Sollte es nicht die Aufgabe des Staates sein, seine Bürger zu schützen? Also das Ringen zwischen Krankenkassen und Industrie zum Wohle der Patienten zu regulieren? 130.000 Betroffenen bleibt aktuell nur das hoffnungsvolle Vertrauen, dass alle Beteiligten nun so agieren, dass der reale Versorgungsengpass noch abgewendet wird.