Kein Gespräch, kein gelber Zettel

Werbung für die Krankschreibung zum Zusammenklicken

Der Wunsch, auf einen Arztbesuch zu verzichten, ist verständlich, wenn es zum Beispiel um einen grippalen Infekt geht. Krankschreibung muss trotzdem sein, denn niemand würde sich in dieser Zeit auch nur mit den leisesten Symptomen irgendeiner Erkältungskrankheit aus dem Haus wagen. Eine Ärztin aus Hamburg hatte diesen Bedarf erkannt und bewarb ihre Praxis mit einer Krankschreibung zum Zusammenklicken. Ganz ohne Gespräch, nicht einmal per Videosprechstunde. Dabei konnten die Patienten auf einer Website einzelne Symptome auswählen, einige Fragen beantworten und die Dauer der Krankschreibung zwischen ein und drei Tagen angeben.

70.000 Ferndiagnosen und deutliche Urteile

Bei einer ersten Verhandlung vor dem Landgericht hatte die Ärztin sich mit dem Hinweis verteidigt, dass es bei 70.000 ausgestellten Krankschreibungen zu keiner einzigen Fehldiagnose gekommen sei. Überdies hätte dem Gericht die notwendige Sachkunde gefehlt, um qualifiziert darüber urteilen zu können, ob eine Diagnosestellung ohne jeglichen persönlichen Kontakt möglich sei. Das Gericht sah sich aber in der Lage, zumindest ein Urteil gegen die Ärztin fällen zu können. In der Berufung folgte jetzt das Oberlandesgericht Hamburg den Kollegen des Landgerichts. Danach muss die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits tragen. Sollte sie dem Urteil zuwiderhandeln, drohen ein Ordnungsgeld bis zu 250.000 Euro oder ersatzweise eine Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten.

Heilmittelgesetz und gesunder Menschenverstand

Christian Wagner, Co-Founder und Justiziar von mediorbis, sieht das Gericht aus seiner Perspektive voll im Recht: „Werbung für den AU-Schein oder ,gelben Zettel‘ zu machen, bei dem es im Vorfeld keinerlei persönlichen Kontakt gab, ist aus guten Gründen unzulässig. Hier spielt einerseits das Heilmittelwerbegesetz mit seinem §9 eine entscheidende Rolle. Anderseits sollte einem auch der gesunde Menschenverstand sagen, dass eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zum Zusammenklicken keinesfalls das persönliche Gespräch ersetzt.“ Dazu stellt sich noch eine wichtige Frage, wenn es um maschinell erstellte AU-Scheine geht: Was sagt der Arbeitgeber dazu – gerade im Streitfall?

Rechtsichere Alternative: die Videosprechstunde

Die Videosprechstunde ist in diesen Tagen das einfache Mittel der Wahl, wenn ein Gang in die Praxis vermieden werden soll. Die Kosten für die Einführung der Videosprechstunde in der Psychotherapie halten sich in engen Grenzen: Computer, Monitor, Kamera, Mikrofon, Lautsprecher oder ein Headset – mehr braucht es nicht. Wer sich mit der Technik oder dem Datenschutz nicht beschäftigen will, der setzt auf erfahrene Dienstleister, wie die IT-Spezialisten, Praxisberater und Juristen von mediorbis.

Bild 1: ©iStock / DNY59, Bild 2: ©iStock / courtneyk

Wichtiges Update: Krankschreibung per Video

Krankschreibung für drei oder sieben Tage

Seit mehr als einem Jahr können Ärzte auch mittels Videosprechstunde die Arbeitsunfähigkeit feststellen – eine echte Erleichterung während der Corona-Pandemie. Das galt aber nur für die Versicherten, die in der Arztpraxis bereits als Patient bekannt waren. Zukünftig können auch Patienten per Videosprechstunde krankgeschrieben werden, die in der Praxis noch nicht vorstellig waren. Einen entsprechenden Beschluss hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) jetzt gefasst.


Aber: Es gibt Unterschiede bei der Dauer der erstmaligen Krankschreibung. Für in der Arztpraxis unbekannte Versicherte ist diese bis zu drei Kalendertagen möglich, für bekannte Versicherte bis zu sieben Kalendertagen. Ein Anspruch auf die Krankschreibung per Videosprechstunde besteht dabei nicht.

Die Videosprechstunde als gleichberechtigte Alternative

Dr. Monika Lelgemann, Vorsitzende des Unterausschusses Veranlasste Leistungen sagt zu den beschlossenen Richtlinienänderungen: „Das Feststellen einer Arbeitsunfähigkeit wird nun generell per Videosprechstunde möglich – sofern die Symptomatik eine solche Abklärung zulässt. Sie ergänzt damit als gleichberechtigte Alternative den bisherigen Standard der unmittelbaren persönlichen Untersuchung durch eine Ärztin oder einen Arzt.“

Beschluss noch nicht wirksam

Der Beschluss wird dem Bundesministerium für Gesundheit vorgelegt und tritt nach Nichtbeanstandung und Veröffentlichung im Bundesanzeiger in Kraft. Dabei ist wichtig zu bedenken, dass auch die Corona-Sonderregelung noch in Kraft ist. Christian Wagner, Co-Founder und Justiziar von mediorbis, sagt dazu: „Der Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschuss hat keinen Einfluss zur Krankmeldung per Videosprechstunde im Rahmen der Corona-Sonderregelung zur telefonischen Krankschreibung. Sie gilt nur noch bis zum 31. Dezember 2021. Danach können Ärzte ihre Patienten, die an leichten Atemwegserkrankungen leiden, auch nach einem Telefonat bis zu sieben Kalendertage krankschreiben. Und: Einmalig kann die Verlängerung der Krankschreibung für sieben weitere Kalendertage erfolgen.“

Nicht für alle Krankheiten geeignet

Wichtig bleibt, dass auch nach dem Beschluss des G-BA gilt, dass die entsprechende Krankheit auch eine Untersuchung per Videosprechstunde zulassen muss. Und ebenfalls zentral: Die Folgekrankschreibung mittels Videosprechstunde ist weiter nur zulässig, wenn die vorherige Krankschreibung auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung ausgestellt wurde. Den Hintergrund bildet dabei die Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie des G-BA. In ihr ist festgelegt, welche Regeln für die Feststellung und Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit – die sogenannte Krankschreibung – von Versicherten durch Vertragsärztinnen und Vertragsärzte sowie im Rahmen des Entlassmanagements aus dem Krankenhaus gelten.

Idealer Anlass für Praxen, die Videosprechstunde einzuführen

Die Ausweitung der Krankschreibung durch die Videosprechstunde kann für viele Praxen der ideale Zeitpunkt sein, jetzt doch noch auf den Zug der Online-Konsultation aufzuspringen. Zumal die Vorteile der Videosprechstunde – auch ganz unabhängig von der laufenden Corona-Pandemie – bestehen bleiben: Weniger Wartezeiten, keine Anfahrt für Menschen, die schlecht zu Fuß sind, keine Infektionsgefahr, straffere Praxisabläufe und … und … und …

Die Videosprechstunde ist dabei keine Frage der Technik. Arzt und Patienten brauchen hier wenig und vor allem fast ausschließlich vertraute Technik. Ein Punkt, der für Unsicherheit sorgen kann, ist der Datenschutz. Jurist Wagner, der auch ein Experte auf dem Gebiet des Datenschutzes ist, kann die Bedenken nachvollziehen: „Verstöße gegen den Datenschutz wiegen schwer und können datenschutzrechtliche, zivilrechtliche, strafrechtliche und berufsrechtliche Folgen haben. Deshalb bieten wir bei mediorbis das komplette Paket für Arztpraxen an – von der Bedarfsermittlung, der Einrichtung der Technik bis zur datenschutzrechtlichen Absicherung.“

Bild 1: ©iStock / Anchiy, Bild 2: ©iStock / Anchiy

14 Punkte in Deutsch sind keine Lizenz zum Schreiben

Wurzelbehandlung“ ist die bessere „Endodontie“

Nicht selten taucht der Begriff „Endodontie“ auf Websites von Zahnärzten auf. Alle Leute vom Fach wissen Bescheid. Klar, Endotonie ist die Lehre vom Inneren des Zahns. Die meisten Patienten denken: Endo was?

„Besser gleich am Anfang klarstellen, dass es in dieser Abteilung um Wurzelbehandlungen & Co geht – auch wenn das bei Schmerz-sensibleren Patienten vielleicht unangenehme Erinnerungen weckt“, sagt Mira Ross-Büttgen, Content-Expertin bei mediorbis. Für sie gehört es zum Tagesgeschäft, Texte u. a. auf ihre Verständlichkeit zu checken.

Praxiswebsites mit großem Fachchinesisch-Anteil mögen auf den ersten Blick Kompetenz ausstrahlen. Die hat die Praxis bestimmt auch. Die meisten Patienten wollen aber nicht nur verstanden werden, sie wollen vor allem auch verstehen. Ein allzu medizinisches Wording weckt kein Vertrauen in die kommunikativen Fähigkeiten eines Arztes. Wirkt eher abgrenzend und wenig empathisch. Diese Qualifikation steht nicht im Lehrplan, ist den Patienten aber dummerweise sehr wichtig.

33 Prozent wünschen sich verständliche Informationen

Frau, die einen Finger der linken Hand hebt, weil sie gerade etwas verstanden hat.
Patienten wollen Ärzte verstehen.

Eine im Juli 2021 veröffentlichte Studie der Asklepios-Kliniken-Gruppe fragte nach den Eigenschaften eines guten Arztes. 34 Prozent der Befragten antworteten: Er muss erklären können, welche Behandlung zumindest sinnvoll ist. 33 Prozent wünschen sich vom Arzt verständliche Informationen über „Vor- und Nachteile verschiedener Therapiemöglichkeiten“. Wer für seine Praxis eine neue Website bauen oder die alte renovieren lassen will, muss am Anfang hinter einer der folgenden Behauptungen ein Häkchen machen:

  1. Texte sind nicht so wichtig. Das kann auch eine Praxis-Assistenz schreiben.
  2. Ich hatte in Deutsch immer mindestens 14 Punkte, außerdem habe ich schon Beiträge für Fachmagazine verfasst. Die Texte schreibe ich am Feierabend selbst.
  3. Eine schriftliche Interpretation von „Kabale und Liebe“ oder ein Fachartikel sind etwas anderes als allgemein verständlicher, professionell strukturierter und verfasster Web-Content. Ich lasse keine Helferin allein eine Wurzelkanalbehandlung machen. Ich hole mir einen Text-Profi, einen Content Writer.

Bleiwüsten waren früher schon verboten

„Viele“, antwortet Mira Ross-Büttgen auf die Frage nach der Anzahl von Arzt-Websites mit unverständlichen Texten und plädiert in dem Zusammenhang auch dafür, sich nicht in ausgeklügelten Satzkonstrukten auszutoben: „Wichtig sind kurze Sätze und Absätze. Damit passen die Texte zum Internet und der immer kürzer werdenden Aufmerksamkeits-Spanne.“ Sätze, die sich über ein ganzes Handy-Display erstrecken? „Bleiwüste“ hieß das früher in der Texter-Branche. Streng verboten. Mira Ross-Büttgen unterzieht mit ihrem Team medizinische Seiten einem 360º Digitalcheck. Dazu gehört auch eine genaue Analyse der Sprachkultur. Sie fühlt den Websites quasi auf den Zahn.

Beim Texten immer an den Patienten denken

Neben den formalen Mängeln stören bei Texten auf Praxis-Websites häufig inhaltliche. Einige beschreiben Leistungen und Kompetenzen, vergessen aber die Patientenvorteile. Beispiel: Ein Zahnarzt schreibt, dass seine Praxis intraligamentäre Anästhesie anbietet. Er erklärt, dass das Betäubungsmittel bei dieser Anästhesie nicht ins Zahnfleisch gespritzt wird. Es wird stattdessen zwischen den Zahn und die Vertiefung im Kieferknochen injiziert, in der der Zahn verwurzelt ist. Bei allem medizinischen Ehrgeiz verliert der Zahnarzt über die Vorteile kein Wort. Die sind:

  • Der kurze Schmerz während der Injektion kann bei der intraligamentären Anästhesie geringer ausfallen. Gerade Angstpatienten haben oft schon vor der Spritze Angst.
  • Taubheitsgefühle auf Zunge oder Lippen bleiben aus.
  • Die Anästhesie wirkt sehr viel schneller.

Das sind die Informationen, die Patienten interessieren.

Die Suchmaschinen werden es Ihnen danken

Last but not least: Wer im Internet auf sich aufmerksam machen will, tut gut daran, in den Suchmaschinen gefunden zu werden. Wichtig dafür sind Keywords, also die Wörter, nach denen die potenziellen Patienten suchen. Das Suchwort Endodontie wird etwa 4.900-mal im Monat eingegeben. Wurzelbehandlung kommt auf ca. 32.800 Aufrufe.

Bild 1: ©iStock / BrianAJackson , Bild 2: ©iStock / Deepak Sethi

Ungeimpfte? Nicht in meiner Praxis.

Team und Patienten bestmöglich schützen

Dr. Florian Balkau ist Hausarzt im Landkreis Osnabrück und muss sich in letzter Zeit häufig erklären. Grund: Er lehnt die Behandlung von Impfverweigerern ab: „Wer ungeimpft zu mir kommen möchte, wer ungeimpft bleiben möchte, mit dem kann ich mir das ganz vertrauensvolle Verhältnis, wie es zwischen Patienten und Hausarzt sein sollte, einfach nicht mehr so richtig vertrauensvoll vorstellen.“

Balkau führt gute Gründe für seine Entscheidung an: „In dieser Zeit möchte ich mein Team und meine zum Teil schwerkranken Patienten bestmöglich schützen.“

Trotzdem hat der Hausarzt jetzt Ärger am Hals. Eine renitente Patientin, die sich trotz eingehender Impfberatung nicht dazu durchringen konnte, hatte für die Entscheidung kein Verständnis und lebte Beschwerde bei der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Niedersachsen ein. Die muss jetzt über den Fall entscheiden.

Privatärzte entscheiden weitgehend frei. Kassenärzte nicht.

Wäre Florian Balkau Privatarzt, wäre die Sache relativ einfach. Grundlage der Behandlung ist in diesem Fall der Behandlungsvertrag (siehe Paragraf 630a des Bürgerlichen Gesetzbuchs – BGB). Solch ein Vertrag kommt automatisch zustande, wenn ein Patient einen Arzt aufsucht und der ihn behandelt. Aber Arzt und Patient können sich natürlich auch gegen den Vertrag entscheiden. Im Falle des Arztes heißt das: Er kann sich weigern, den Patienten zu behandeln. Eine Behandlungspflicht besteht für ihn dann nur in akuten Notsituationen.

Bei Vertragsärzten ist die Sache etwas komplizierter. Sie sind laut Paragraf 95 (Abs. 3) des Fünften Sozialgesetzbuches zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung verpflichtet. Wenn sie einen Patienten ablehnen, müssen sie das deshalb gut begründen. Berechtigte Gründe sind zum Beispiel Überlastung durch zu viele Patienten, fehlende fachliche Kompetenz des Arztes für nötige Behandlungen – sowie das erwähnte Vertrauensverhältnis.

Laut richterlicher Urteile ist das Vertrauensverhältnis gestört, wenn z. B. der Patient den Arzt beleidigt oder beschimpft hat (Urteil des OLG München; 1 U 3395/7) oder bei einem unauflösbaren Streit über die Medikation (Urteil des AG Karlsruhe; 9 C 251/97). Ein richtungsweisendes Urteil, ob eine verweigerte Impfung als Ursache für ein gestörtes Vertrauensverhältnis gelten kann, existiert dagegen nicht. Aber es gibt qualifizierte Meinungen zum Thema. 

Kann Dr. Balkau die Behandlung verweigern?

Die Entscheidung Dr. Balkaus hat eine rechtliche und eine moralisch-ethische Komponente. Darauf weist Detlef Haffke, Pressesprecher der KV Niedersachsen, in einer Stellungnahme vom 3. September hin. Aus rechtlicher Sicht besteht

keine gesetzliche Impfpflicht gegen das Coronavirus“, schreibt die KV. Und „soweit der Gesetzgeber in diesem Lebensbereich nicht tätig geworden ist, steht es nicht im freien Belieben des Kassenarztes, seine Wertung an die Stelle des Gesetzgebers zu setzen und eine eigene Wertung zu treffen“.

Als Fazit schreibt Haffke: „Die Ablehnung der Behandlung von Ungeimpften ist nicht gerechtfertigt, wenn dem Arzt genügend Schutzausrüstung zur Verfügung steht und er selber geimpft ist. Insoweit besteht für ihn insgesamt kein unzumutbar hohes Risiko, das die Ablehnung der Behandlung begründen könnte.

Hohe Hürden für die Entscheidung von Vertragsärzten, eine Behandlung zu verweigern, sieht auch Christian Wagner, Fachanwalt für Medizinrecht und Vorsitzender der SGB-V-Kommission. Allerdings sagt er auch:

„Wenn völlig abstruse, widerlegbare Theorien als Grundlage einer Impfweigerung dienen und sich ein Patient durch Argumente nicht mehr erreichen lässt, halte ich persönlich das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient tatsächlich für gestört.“

Damit wäre Florian Balkau auf der sicheren Seite. Aber noch ist das Ende offen.

Bild 1: ©iStock / D-Keine , Bild 2: ©iStock / , Bild 3: ©iStock /

Quellen

https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/osnabrueck_emsland/Hausarzt-will-Corona-Impfgegner-nicht-mehr-behandeln,wallenhorst382.html

Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von www.anwalt.org zu laden.

Inhalt laden

https://www.medical-tribune.de/praxis-und-wirtschaft/praxismanagement/artikel/wann-darf-der-vertragsarzt-einen-patienten-ablehnen/
https://www.kvn.de/Presse/KVN+ruft+im+Fall+Dr_+Balkau+zu+Ma%C3%9Fhaltung+und+Besonnenheit+auf-press-11110-p-11110.html

Bild 1: ©iStock / D-Keine

Jameda, Google & Co: Üble Kritik, was nun?

Krawall-Patienten pöbeln im Internet? Muss sich niemand gefallen lassen.

„Abrechnungsbetrug“, schimpfte eine ehemalige Patientin im Februar 2021 über ihren Zahnarzt auf dessen Google-My-Business-Profil. Der Mediziner wollte das nicht stehen lassen und beantragte eine Einstweilige Verfügung gegen die renitente Dame. Mit Erfolg: Jetzt gab das Landgericht Heidelberg dem Dentisten recht und verbot der Beklagten, ihn öffentlich wahrheitswidrig des Abrechnungsbetrugs und der falschen Verdächtigung zu bezichtigen. Verstößt sie dagegen, droht ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro oder Haft.

Ein aktueller Fall, der zeigt: Unwahre Tatsachenbehauptungen und Schmähkritik sind nicht von der Meinungsfreiheit geschützt – auch nicht im Internet bei Bewertungsportalen wie Jameda & Co. Mehr noch, wird suggeriert, dass die Bewertung nach einem Besuch in einer Praxis geschrieben wurde, es diesen aber gar nicht gab, ist das rechtswidrig.

Jameda-Bewertungen können gelöscht werden

Christian Wagner, Fachanwalt für Medizinrecht erklärt: „Bewertungen und Einträge auf Jameda können gelöscht werden, wenn unwahre Tatsachen behauptet werden oder sie rechtswidrig sind. Bei Diffamierungen, Beleidigungen oder Herabsetzungen der Person oder der Praxis, wenn die Bewertungen einzig und allein der Rufschädigung dienen.“

Das gilt es also nachzuweisen und zu verargumentieren. In Anbetracht der Tatsache wie wichtig heute der gute Eindruck auf Bewertungsportalen ist, kann es sich lohnen, dafür einen Anwalt zu beauftragen. Übrigens: Jedes Bewertungsportal hat auch eigene Regeln. Zwar gilt bei allen, dass bei Verletzung der oben genannten Strafvorschriften Löschung möglich ist. Aber: Jameda hat andere interne Regelungen als zum Beispiel Google oder DocInsider. Auch das muss beachtet werden.

Google Jameda und Co

Schlechte Bewertung kommentieren: Besser nicht!

Man könnte meinen, dass es einen gewissen positiven Service-Charakter hat, wenn man auf eine negative Bewertung eingeht. Aber Medizinrechtler Wagner mahnt zur Vorsicht:

„Die ärztliche Schweigepflicht umfasst den Namen des Patienten, dessen Krankheitsdaten sowie alle Gedanken und Meinungen, die der Patient dem Arzt anvertraut hat und einiges mehr. Es gibt zu viele Fallstricke, dass der Arzt beim Kommentieren gegen Datenschutz und Strafrecht verstößt, zum Beispiel wenn er versucht, den damaligen Sachverhalt aus seiner Sicht zu erklären.“

Christian Wagner, Fachanwalt für Medizinrecht

In jedem Fall sei es besser, erstmal die Löschung zu beantragen und nur falls diese abgelehnt wird, zu kommentieren. Dazu sollte man dann einen Anwalt zu Rate ziehen, um sich rechtlich abzusichern.

Bewertungsportale positiv nutzen: So funktioniert’s

Genauso wie die Portale Fluch sein können, können sie auch Segen sein: Denn wer überwiegend positive Bewertungen bekommt, hat ohne viel Eigenaufwand eine nahezu sichere Akquise-Quelle. Fachanwalt Wagner erläutert:

„Gute Bewertungen stehen für ein gutes Standing des Arztes und für Glaubwürdigkeit, haben positiven Einfluss auf die Sichtbarkeit im Internet und erhöhen die Bereitschaft bei den Patienten, den Arzt als ihren neuen Arzt zu testen.“

Christian Wagner, Fachanwalt für Medizinrecht

Er rät dazu, das eigene Profil bei Jameda regelmäßig zu pflegen mit professionellen Praxis-Fotos, Texten zur Person und Behandlungsspektrum oder auch durch Fachtexte.

Um positive Bewertungen einzukassieren, rät der Anwalt, gezielt zufriedene Patienten anzusprechen und um eine Bewertung zu bitten. „Weiterhin können im Wartezimmer oder am Empfang Empfehlungskärtchen ausgelegt werden, mit denen auf das gewünschte Zielmedium hingewiesen wird und zuletzt kann auf der Praxis-Webseite oder in der E-Mail-Signatur ein Link zum Profil auf dem Arztbewertungsportal eingefügt werden.“

Checkliste zum Umgang mit Bewertungsportalen

Zusammenfassend rät Medizinanwalt Christian Wagner also zu diesem Vorgehen, um für Ärzte das Beste aus Jameda & Co. herauszuholen:

  • Bei negativen Bewertungen mit Anwalt Löschung beantragen, nach Ablehnung Kommentar verfassen
  • Profil eigenständig pflegen mit professionellen Texten und Fotos
  • Aktiv um positive Bewertungen werben, z.B. durch Empfehlungskärtchen

Nocebo-Effekt: Krank durch Ärzte-Latein

Behandlungsfehler durch schlechte Kommunikation

Den bangen Moment kennt wahrscheinlich jeder, der schon einmal beim Zahnarzt war. Der Mund ist weit geöffnet und dann beginnt der Dentist nacheinander jeden Zahn zu analysieren. Die Ergebnisse teilt er seiner Stuhlassistenz in einer Geheimsprache mit: „Eins acht f. Eins sieben c okklusal. Eins sechs o. B.“ Großes Fragezeichen beim Patienten.

„Mediziner-Latein“ ist präzise und international. Deswegen wird es gesprochen und in Befunden niedergeschrieben. Problematisch wird es aber, wenn Patienten den Inhalt nicht verstehen. Laut WHO basieren bis zu 80 Prozent der Behandlungsfehler auf schlechter oder mangelhafter Kommunikation zwischen Arzt und Patient.

Diagnose dem Bildungsniveau anpassen

Volles Wartezimmer, eng getaktete Termine und immer wieder Akut-Patienten. Das Leben eines Arztes kann nervenaufreibend sein. Da bleibt oft nicht genug Zeit, die Diagnose dem Bildungsniveau des Patienten anzupassen und allgemein verständliche Zusammenhänge zu erklären. Das Ergebnis ist ein verunsicherter Patient. Und genau da beginnt die Crux: Der Nocebo-Effekt setzt ein.

Nocebo ist das Gegenteil von Placebo und bedeutet „Ich werde schaden“. Beide Effekte beschreiben eine psychische Reaktion des Körpers. Beim Placebo-Effekt begünstigt sie die Heilung. Beim Nocebo-Effekt führt sie zu einer Verschlechterung. Voodoo-Zauberei nutzt den Nocebo-Effekt übrigens schon seit mehr als 2000 Jahren.

Verständliche Diagnosen sind ein Qualitätsmerkmal für gute Ärzte

In der Bielefelder Studie zur Gesundheitskompetenz der Deutschen haben mehr als 70 Prozent der Befragten angegeben, sie finden es schwierig, unterschiedliche Behandlungsoptionen einzuschätzen. Der Grund ist die schlechte Kommunikation mit dem Arzt. Verständliche Diagnosen und Therapievorschläge sind ein Qualitätsmerkmal für gute Ärzte.

Wer als Mediziner den Nocebo-Effekt ernst nimmt und ihn vermeiden will, sollte daher von Bluthochdruck statt Hypertonie sprechen. 46,5 Prozent der Deutschen bemängeln in der Studie die Verständlichkeit von medizinischen Begriffen.

Wenn der Patient dann noch erfährt, dass er seinen Blutdruck nicht nur medikamentös verbessern kann, sondern auch mit einer Umstellung seines Lifestyles, hat er nach dem Arztbesuch mehr als ein Rezept in der Tasche. Im günstigsten Fall setzt dann der Placebo-Effekt ein.

Schlechte Kommunikation macht krank.

47,5 Prozent der Deutschen fühlen sich beim Arztbesuch gestresst

Ein guter Arzt nimmt sich Zeit für seine Patienten und gibt ihnen nicht das Gefühl, dass sie ihm seine wertvolle Zeit stehlen. Ist der Patient gestresst, versteht er tendenziell noch weniger und die Chance ist gut, dass er beim Verlassen der Praxis alles schon wieder vergessen hat. Beste Voraussetzungen für den Nocebo-Effekt. 47,5 Prozent der Deutschen verbinden mit dem Arztbesuch zeitlichen Stress.

Bei der Zahnarzt-Analyse ist der Fall etwas anders. Hier spart der Code bei der Bestandsanalyse enorm viel Zeit. „Eins acht f“ bedeutet: Im oberen rechten Kiefer (Quadrant 1) fehlt (f) der Weisheitszahn. Der Weisheitszahn ist, wenn man vorne am Schneidezahn zu zählen beginnt, der achte Zahn im Quadranten.
„Eins sieben c okklusal.“ Hier hat der siebte Zahn rechts oben Karies (c) an der Kaufläche (okklusal).
„Eins sechs o. B.“ Ist eine prima Diagnose. „O. B.“ steht für ohne Befund.

So wird jeder Zahn im System registriert und der Zahnarzt kann sich immer ein schnelles Bild machen. Für das Gespräch mit dem Patienten sollte er dann aber wieder verständlicher werden: „Sie haben im Backenzahn eine kleine Karies. Nichts schlimmes. Wir machen jetzt eine kleine Füllung und dann ist wieder alles gut.“

Unterstützung zum Thema Patientenkommunikation bietet Ihnen Dr. med. Fabian Stehle. Er und sein Team sind auf das Coachen von Praxen spezialisiert.

Bild 1: ©iStock / redcarpett, Bild 2: ©iStock / alashi

Suche