Die EU verlangt die Arbeitszeiterfassung schon seit 2019
„Auf europäischer Ebene wird die verbindliche Arbeitszeiterfassung bereits seit einigen Jahren von den Mitgliedsstaaten gefordert, also auch von Deutschland“, sagt Christian Wagner, Mitgründer von mediorbis, Fachanwalt für Medizinrecht und Vorsitzender der SGB V-Kommission beim Deutschen Sozialgerichtstag. Geschehen ist in Deutschland aber bisher nichts.
Den Stein ins Rollen gebracht hat ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG). Der Betriebsrat einer stationären Wohneinrichtung hatte vom Betreiber vergeblich gefordert, dass dieser ein System zur Arbeitszeiterfassung installieren solle und hat im nächsten Schritt die betriebsinterne Einigungsstelle hinzugezogen. Das aber durfte der Betriebsrat gar nicht, entschied der BAG. Die Begründung klingt bizarr, konnte aber nicht anders ausfallen, weil europäisches Recht in diesem Fall bindend für deutsches Arbeitsrecht ist.
Laut Paragraph 87 des Betriebsverfassungsgesetzes hat der Betriebsrat nur ein Mitspracherecht, wenn es keine gesetzliche oder tarifliche Regelung gibt. Die aber gab es – und zwar spätestens seit 2019. Damals fällte der Europäische Gerichtshof (EuGH) ein Urteil, in dem er die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union verpflichtete, Arbeitgeber die Arbeitszeit erfassen zu lassen.
Bundesarbeitsgericht: Politik muss reagieren
Das heißt nichts anderes, als dass auch in Deutschland „der Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet ist, die Arbeitszeiten der Arbeitnehmer zu erfassen.“ So formuliert es das Bundesarbeitsgericht in seiner Pressemitteilung zum Urteil und spricht von einer „unionsrechtskonformen Auslegung“. Mit der „unionsrechtskonformen Auslegung“ bezieht sich das Gericht auf das erwähnte Urteil des Europäischen Gerichtshofes. Das aktuelle BAG-Urteil wiederum setzt die Politik jetzt unter Druck, der Forderung aus Europa nachzukommen und einen einheitlichen Rechtsrahmen zu schaffen.
Bußgelder sind noch nicht in Sicht
Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung gilt prinzipiell ab sofort und ist unabhängig von der Größe des Betriebs, betrifft also auch kleinste Arztpraxen. Irrelevant ist dabei, wo die Arbeitsleistung erbracht wird. Sind zum Beispiel telemedizinische Leistungen im Angebot, arbeiten Mitarbeiter remote von zu Hause aus, muss ebenfall ein brauchbares System zu Arbeitszeiterfassung installieren.
Medizin-Anwalt Christian Wagner sieht für Arbeitgeber aktuell trotzdem noch keinen Grund zur übersteigerten Eile: „Wer jetzt noch kein System zur Arbeitszeiterfassung installiert, wird aktuell nicht mit einem Bußgeld bestraft. Erst wenn eine vollstreckbare Anordnung der Arbeitsschutzbehörde existiert, sind solche Strafen möglich.“
„Früher oder später werden höchstwahrscheinlich selbst kleine Praxen Lösungen für eine Arbeitszeiterfassung ohne allzu großen bürokratischen Aufwand finden müssen“, sagt Christian Wagner. „Deshalb ist es sinnvoll, sich schon einmal nach einem passenden System umzusehen.“ Viel mehr müsse im Moment nicht geschehen. In Zukunft folgen wahrscheinlich verbindlichere Vorgaben. Die Politik möchte dabei allzu viel Bürokratie vermeiden. Konkrete Schritte plant sie laut eigener Angaben aber erst, wenn die detaillierte Begründung des BAG-Urteils vorliegt. Mit dieser Begründung wird im November 2022 gerechnet.
Überstunden werden künftig besser dokumentiert
Viele medizinische Fachangestellte, Pfleger und Ärzte arbeiten derzeit am Limit. Für sie kann die Pflicht zur Dokumentation der Arbeitszeit durchaus Vorteile bringen. Laut MB-Monior 2022 des Marburger Bundes leisten zum Beispiel Ärzte pro Woche durchschnittlich 6,2 Überstunden. Fast drei von zehn Befragten gaben dabei an, dass ihre Arbeitszeit nicht erfasst wird und mehr als jeder Vierte (26 Prozent) erhielt keinen Ausgleich für geleistete Mehrarbeit. Ein Teil von ihnen wird es künftig zumindest einfacher haben, Mehrarbeit zu dokumentieren.
Klägerin war ein Unternehmen aus Trier, das ein CBD-haltiges Pulver für Hunde und eine CBD-Hautcreme für Menschen im Sortiment hatte. Das Unternehmen klagte gegen eine Unterlassungsverfügung des rheinland-pfälzischen Landesamtes für Soziales, Jugend und Versorgung (LSJV). Das Landesamt hatte dem Unternehmen den Vertrieb der beiden Produkte mit dem Hinweis untersagt, dass es sich um Präsentationsarzneimittel handelt und beide Produkte seien als Arznei nicht zum Vertrieb in Deutschland zugelassen.
Präsentationsarzneimittel sind die in Paragraf 2, Absatz 1 des Arzneimittelgesetzes genannten „Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die am menschlichen oder tierischen Körper angewendet werden, um Krankheiten zu heilen, zu lindern oder zu verhüten“.
Für die Zulassung von Human-Arzneimitteln ist das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte zuständig. Dagegen kümmert sich das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit um die Zulassung von Tierarzneimitteln. Das Unternehmen aus Trier besaß tatsächlich für keines der beiden Produkte eine passende Arzneimittelzulassung. Aus seiner Sicht war die allerdings auch gar nicht nötig. Es wertete seine eigenen Produkte als Ergänzungsfuttermittel beziehungsweise Kosmetikartikel und therapiebegleitende Pflege bei Hauterkrankungen und klagte gegen die Unterlassungsverfügung. Das Verwaltungsgericht Trier wies diese Klage aber ab.
CBD-Produkte: ein Markt mit vielen Versprechen
Viele Unternehmer erwarten Großes vom CBD-Markt in Deutschland. Das Interesse an dem Cannabinoid wächst stetig. 2020 kannten bereits 64 Prozent der für eine Studie befragten 16- bis 29-Jährigen den Begriff CBD. 2019 waren es erst 35 Prozent. Bei den 30- bis 49-Jährigen gelang im selben Zeitraum ein Sprung von 33 auf 57 Prozent. Das ergab eine von Statista veröffentlichte Umfrage der EARSandEYES GmbH aus 2020. Dass CBD die Chance auf gute Geschäfte birgt, zeigen andere Analysen. So schätzten die Analysten der auf Hanfmärkte spezialisierten Brightfield Group den europäischen CBD-Umsatz 2019 auf 343 Millionen Euro. Für 2025 prognostiziert das Unternehmen einen Umsatz von 1,4 Milliarden Euro. Solche Prognosen haben jedoch einen relativ große Unsicherheitsfaktor. Die Wachstumschancen auf europäischen Märkten hängen von vielen Regularien ab, die sich kaum prognostizieren lassen.
CBD ist legal in Deutschland? Es bleibt kompliziert
CBD als Substanz gilt in Deutschland nicht als Betäubungsmittel, im Gegensatz zu Cannabisblüten. Sie werden selbst dann als Betäubungsmittel eingestuft, wenn sie vor allem CBD und kaum psychoaktives THC enthalten. CBD-Blüten als Arzneimittel? Das ist erlaubt, aber nur auf ärztliches Rezept. CBD in Kosmetik? Ebenfalls erlaubt. CBD-Öl als Nahrungsergänzungsmittel? Nicht erlaubt. CBD gilt in der Europäischen Union als Novel-Food. Es benötigt deshalb eine Zulassung als neuartiges Lebensmittel, die CBD noch nicht hat und vorerst nicht bekommt. Der Europäische Gerichtshof und die Weltgesundheitsorganisation stufen CBD allerdings nicht als Suchtmittel ein. Das könnte die Chancen auf künftige Zulassungen steigern.
Arzneimittel? Ist bisweilen selbst das, was keiner so nennt
Im Fall aus Trier folgte das Gericht am Ende der Einschätzung des Landes: Die CBD-Produkte des Trierer Unternehmens seien als Präsentationsarzneimittel einzustufen. Den Vertrieb zu untersagen, war damit laut Urteil des Gerichts rechtmäßig. Der Begriff des Präsentationsarzneimittels sei nach EU-Recht und EU-Rechtsprechung weit auszulegen. Er umfasst auch ein Produkt, bei dem:
„bei einem durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Verbraucher, schlüssig, aber mit Gewissheit der Eindruck entsteht, dass es in Anbetracht seiner Aufmachung die betreffenden Eigenschaften zur Heilung, Linderung oder Vorbeugung von Krankheiten hat“.
Genau diesen Eindruck hat das Trierer Unternehmen nach Ansicht des Gerichtes bei seinen Produkten vermittelt. So hatte es zum Beispiel auf Instagram eine Story mit dem Hinweis veröffentlicht, dass das Hautpflegeprodukt „bei zahlreichen Hautkrankheiten eine erfolgreiche Therapiemaßnahme darstellen“ kann. Beim Tierprodukt entstand laut Gericht der Eindruck, „das Präparat sei jedenfalls auch zur Behandlung von (Gelenk-)Krankheiten bei Hunden bestimmt“.
Kann oder muss ein Arzt den Patientenwillen ignorieren? Jein
„Die Zähne müssen raus“
Manchmal dürfen Ärzte den Patientenwillen nicht nur ignorieren. Sie müssen es sogar. Sehr plakativ zeigt das ein Zahnmedizin-Fall aus den späten 70er Jahren. Damals forderte eine Frau mit chronischem Kopfschmerz einen Zahnarzt auf, ihr alle Zähne mit einer Füllung zu ziehen. Aus ihrer Sicht waren diese Zähne die Ursache ihrer Schmerzen. Medizinisch war diese These nicht haltbar.
Dennoch zog der Arzt der Frau alle Zähne im Oberkiefer. Dass er ihr dabei aufgrund eines Missverständnisses auch nicht plombierte Zähne entfernt hat, ist für den Fall nebensächlich. Das Entscheidende: Laut eines Urteils des Bundesgerichtshofs (BGH) hat der Patientin die erforderliche Urteilskraft für eine eigenverantwortliche Entscheidung gefehlt. Der Zahnarzt hätte ihr die Zähne deshalb nicht ziehen dürfen.
„Hier geht es um einen Fall, bei dem die Patientin eine aus ärztlicher Sicht unsinnige Behandlung einfordert“, sagt Christian Wagner, Mitgründer von mediorbis, Fachanwalt für Medizinrecht und Vorsitzender der SGB V-Kommission beim Deutschen Sozialgerichtstag. „In solchen Fällen entscheidet der Arzt sehr oft richtig, wenn er die Behandlung verweigert“, urteilt er. „Komplizierter wird die Situation, wenn der Patient eine aus ärztlicher Sicht notwendige Behandlung verweigert.“
Patientenwillen: Entscheidend ist Einwilligungsfähigkeit
Der hohe Wert des Patientenwillen bei medizinischen Behandlungen ergibt sich aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB, Paragraf 630d). Grundsätzlich gilt: Der Arzt darf den Patienten in der Regel nur auf eine Art therapieren, in die der Patient eingewilligt hat. Fähig zu dieser Einwilligung ist der Patient, wenn er Bedeutung, Tragweite und Risiko der ärztlichen Maßnahme erkennt und versteht. Deshalb ist das Aufklärungsgespräch zwischen Arzt und Patient wichtig. Der Arzt muss ihm erklären, was er vorhat. Und nur, wenn der Patient es versteht, kann er einwilligungsfähig sein.
Fehlen kann die Einwilligungsfähigkeit des Patienten aber auch aus Gründen wie Minderjährigkeit, Alkoholkonsum oder Demenz. Die Betonung liegt auf kann. So gibt es zum Beispiel keinen festgelegten Promillewert, ab der ein Mensch im medizinischen Bereich als nicht mehr einwilligungsfähig gilt. Der Arzt muss also im Einzelfall entscheiden, ob ein geäußerter Patientenwille verbindlich ist oder nicht. Das ist mitunter sehr schwierig.
„Ich will kein fremdes Blut“
Ärzte dürfen sich über den Patientenwillen hinwegsetzen, wenn der Patient einwilligungsunfähig ist. Ausnahme: Es existiert so etwas wie eine Patientenverfügung aus einer Zeit, in der er einwilligungsfähig war, oder es darf eine andere Person (zum Beispiel ein Betreuer) für ihn entscheiden. Lehnt ein einwilligungsfähiger Patient eine Behandlung ab, ist das für den Arzt dagegen oft bindend. Das gilt auch dann, wenn ein einwilligungsfähiger Patient eine aus ärztlicher Sicht notwendige Bluttransfusion ablehnt. Der Arzt muss über die Einwilligungsfähigkeit des Patienten dann unter Umständen in kürzester Zeit entscheiden. Im Extremfall entstehen dabei Situationen, die mit dem ärztlichen Selbstverständnis kaum vereinbar ist. Ärzte müssen den Patientenwillen unter Umständen selbst dann berücksichtigen, wenn der Patient höchstwahrscheinlich ohne die Bluttransfusion stirbt (Beispielurteil aus 2003).
Im Zweifelsfall ist eine rechtliche Beratung gut
Die meisten Fälle in der ärztlichen Praxis stellen Ärzte nicht vor derartige Entscheidungen. Aber auch der gewöhnliche Praxis- und Klinikalltag bietet bei Fragen rund um den Patientenwillen Herausforderungen. Die Bundesärztekammer hat 2019 deshalb Hinweise und Empfehlungen herausgebracht, wie Ärzte mit Zweifeln an der Einwilligungsfähigkeit erwachsener Patienten umgehen sollten. Bleibt in einem Zweifelsfall Zeit für die ärztliche Entscheidung, kann zudem eine medizinrechtliche Beratung sinnvoll sein.
Cannabis-Therapie: AOK verzichtet auf ihr Veto-Recht
„Ganz klar ein Weg in die richtige Richtung“
Für die Versicherten der AOK Rheinland / Hamburg ist es eine gute Nachricht: Die DGS hat mit dem gesetzlichen Krankenversicherer einen Selektivvertrag geschlossen, der Schmerzpatienten einen schnelleren Zugang zu Medizinalcannabis ermöglicht. Kernpunkt des Vertrags: Hat ein Arzt ein Rezept für medizinisches Cannabis ausgestellt, verzichtet die AOK Rheinland / Hamburg auf ihr Veto-Recht. Das kann die Zeitspanne zwischen dem Verschreiben des Cannabis und dem Beginn der Therapie deutlich verkürzen.
Für den verkürzten Weg zur Cannabistherapie gibt es aber Bedingungen. Möglich ist er nur für Patienten derjenigen Ärzte, die ein 20-stündiges Curriculum zu Cannabinoiden mit einer Lernkontrolle durchlaufen haben. Und – weil das eben die Natur eines Selektivvertrages ist – es kommen nur die Versicherten der AOK Rheinland / Hamburg in den Genuss eines schnelleren Therapiebeginns. Bleibt abzuwarten, ob die anderen großen Krankenkassen nachziehen.
„Der Vertrag zwischen DGS und AOK ist ganz klar ein Weg in die richtige Richtung“, sagt Christian Wagner, Fachanwalt für Medizinrecht, Vorsitzender der SGB V-Kommission beim Deutschen Sozialgerichtstag und Mitgründer von mediorbis. „Derartige Verträge sollten aber bald in ganz Deutschland mit verschiedenen Krankenkassen abgeschlossen werden. Nur so werden flächendeckend schnelle Entscheidungen zum Wohle der Patienten möglich.“
Maximal fünf Wochen bis zur Erstentscheidung
Über den Antrag auf Kostenübernahme bei einer vom Arzt verschriebenen Cannabistherapie muss eine Krankenkasse innerhalb von drei Wochen ab Erhalt des Antrags erstmals entscheiden. Grundlage dafür ist Paragraf 13 (Absatz 3a) des Fünften Sozialgesetzbuchs (SGB-V). Lässt die Krankenkasse die Frist ohne eine ausreichende Begründung verstreichen, gilt der Antrag automatisch als genehmigt. Schaltet sie Gutachter des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) ein, verlängert sich die Frist auf fünf Wochen. Geht es um besonders dringende Fälle in der Palliativmedizin, verkürzt sie sich dagegen auf nur drei Tage.
Die großen Kassen lehnen bisher ein Drittel der Anträge ab
Die Erstentscheidung geht keineswegs immer zugunsten des Patienten aus. So haben die drei großen Krankenkassen AOK, Barmer und Techniker Krankenkasse immerhin etwa ein Drittel der Anträge auf eine Cannabistherapie abgelehnt. Das berichtete das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte im Abschlussbericht seiner fünfjährigen Begleiterhebung, die parallel zur Freigabe von Medizinalcannabis gestartet war. Lehnt eine Krankenkasse die Kostenübernahme bei einer Cannabistherapie ab, können Patienten dagegen Widerspruch einlegen. Allerdings vergehen dann oft mehrere Monate bis zu einer endgültigen Entscheidung – und der Ausgang des Verfahrens ist völlig offen.
DSG-Präsident Dr. Johannes Horlemann: Bisherige Praxis „inhuman“
Lange Wartezeiten bis zu einer möglichen Genehmigung der Cannabistherapie durch die Krankenkasse hält DGS-Präsident Dr. Johannes Horlemann für „inhuman“. Eine ähnliche Meinung vertraten diverse Cannabisverbände wie der Bund Deutscher Cannabis-Patienten und der Bundesverband pharmazeutischer Cannabinoidunternehmen. „So wie es ist, kann es nicht bleiben“, fordern sie in einer Pressemitteilung aus dem September 2022. Gleichzeitig beklagen die Verbände die aus ihrer Sicht hohe Ablehnungsquote der Krankenkassen, die zu vielen Privatzahlern in den Apotheken führt.
Eine selbstfinanzierte Cannabis-Therapie kann sich nicht jeder Patient leisten. Deshalb fordern die Verbände die allgemeine Abschaffung des Genehmigungsvorbehalts der Krankenkassen, um die Kostenerstattung für die Patienten zu sichern. Christian Wagner sieht hier die privaten Krankenkassen als Vorbild: „Private Krankenversicherer hatten von Anfang an keinen Genehmigungsvorbehalt und das funktioniert sehr gut.“
Nachweisgesetz: Auslöser für eine Vielzahl von Prozessen?
Sperriger Titel mit vielen kleinen Tretminen
Das sogenannte Nachweisgesetz ist im deutschen Recht im Prinzip kein neues, aber es wurde im Juni auf Grundlage der „Arbeitsbedingungenrichtlinie über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der EU“ neu gefasst. Die präzise Bezeichnung lautet dabei „Richtlinie (Eu) 2019/1152 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union“.
„Hinter diesem sperrigen Titel lauern in unserem Land viele kleine Tretminen, die in Zukunft Auslöser für eine Vielzahl von Prozessen vor den Arbeitsgerichten sein können, wenn Praxisinhaber jetzt nicht schnell handeln“, sagt Christian Wagner, Gründer der Anwaltsplattform advomeda und Justiziar von mediorbis. Das gilt seiner Meinung nach vor allem, weil das neugefasste Gesetz einen sehr breiten Anwendungsbereich umfasst und die Rechte der Arbeitnehmer erweitert.
Bußgelder bis zu 2.000 Euro pro Vertrag
Auf die Frage, was Ärzte jetzt zu tun haben, hat der mediorbis-Justiziar einen klaren Rat – und eine Warnung: „Ich möchte allen Praxisverantwortlichen empfehlen, jetzt alle Arbeitsverträge ändern zu lassen und das aus zwei guten Gründen: Erstens werden bei Verstößen gegen das Nachweisgesetz Bußgelder von bis zu 2.000 Euro pro Vertrag fällig und zweitens schwächen unzureichende Arbeitsverträge die ohnehin schon schwierige Position des Arbeitgebers vor Gericht noch weiter.“
Christian Wagner weist zusätzlich daraufhin, dass Verträge, die vor dem 1. August 2022 in Kraft traten, nur dann geändert und ausgehändigt werden müssen, wenn dies vom Arbeitnehmer gefordert wird. Aber: „Die Frist, die damit verbunden ist, beträgt nur sieben Tage und das ist eine denkbar kurze Zeitspanne. Ich kann nur dringend empfehlen jetzt alles Verträge prüfen und ändern zulassen, um ein Bußgeld zu verhindern.“
Die Richtlinie im Überblick
Mit dieser Einschätzung könnte der Justitiar ziemlich richtig liegen. Das zeigt auch der Blick auf die Zusammenfassung zur Richtlinie, die sich auf der Website der Europäischen Kommission dazu findet:
• ausführlichere Unterrichtung über wesentliche Aspekte des Beschäftigungsverhältnisses, frühzeitig und in schriftlicher Form;
• Höchstdauer für die Probezeit zu Beginn des Beschäftigungsverhältnisses;
• Möglichkeit der Mehrfachbeschäftigung, Verbot von Ausschließlichkeitsklauseln und Einschränkungen für Unvereinbarkeitsklauseln;
• Mindestplanbarkeit der Arbeit mit angemessenem Vorlauf für Arbeitnehmer, deren Arbeitszeitplan unvorhersehbar ist (z. B. Arbeit auf Abruf);
• Vorschriften zur Verhinderung von Missbrauch für Null-Stunden-Verträge;
• Anspruch auf schriftliche Antwort auf Ersuchen um Übergang zu einer Beschäftigungsform mit sichereren Arbeitsbedingungen;
• Anspruch auf kostenlose obligatorische Fortbildung im Falle der Verpflichtung des Arbeitgebers zur Bereitstellung einer solchen Fortbildung.
Dazu kommt auch eine neue Informationspflicht der Arbeitgeber über das korrekte Vorgehen im Kündigungsfall – mit Kündigungsfrist und Angabe des Zeitraums, in dem eine Kündigungsschutzklage erhoben werden kann.
Auswirkungen auf eine Vielzahl anderer Gesetze
„Die Übernahme der Arbeitsbedingungenrichtlinie in deutsches Recht hat auch Folgen für eine ganze Reihe anderer Gesetze, wie das Teilzeit- und Befristungsgesetz, das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, das Berufsbildungsgesetz oder auch die Gewerbeordnung“, erläutert Christian Wagner. Und was ist mit den Altverträgen? „Arbeitnehmer mit Verträgen, die vor dem 1. August dieses Jahres geschlossen wurden, können eine Aktualisierung verlangen.“ Als nur ein Beispiel zum Umfang der Änderungen nennt er, dass Angaben zu Ruhepausen, Ruhezeiten oder auch Schichtsystemen und Schichtrhythmen schriftlich festzuhalten sind. Dazu kommen Schichtänderungen oder detaillierte Angaben zu Überstunden oder die Zusammensetzung und Höhe des Entgelts.
Der Gesetzgeber setzt der Werbung für eine Fernbehandlung enge Grenzen. Das belegen u. a. zwei aktuelle Urteile. Wer trotzdem munter Reklame macht, kann gleich gegen mehrere Paragrafen verstoßen. Eine fundierte juristische Beratung ist in jedem Fall eine gute Idee.
Unerlaubte Allianzen
2020 begann die niederländische Shop Apotheke (Onlineapotheke) eine Kooperation mit der in Großbritannien sitzenden Online-Arztpraxis Zava. Bei Zava erhält ein Patient einige medizinische Leistungen bereits nach Ausfüllen eines Online-Fragebogens. Zwei Apothekenverbände klagten aufgrund der Kooperation gegen Shop Apotheke vor dem Landgericht Köln.
Das Landgericht untersagte der Onlineapotheke 2021 die damals bestehende Kooperation mit Zava. Darüber hinaus verbot es ihr im Urteil vom 19. Oktober 2021 (AZ: 31 O 20/21) eine Werbung für medizinische Fernbehandlungen, die sich „im Ausfüllen eines Fragebogens“ erschöpfen. Dem Gericht fehlte darüber hinaus der Hinweis, dass Zava seinen Sitz nicht in Deutschland hat. Es stützte sich bei seinem Urteil u. a. auf Paragraf 11 des Apothekengesetzes. Der Paragraf verbietet es Apothekern (mit Ausnahmen), Ärzten Patienten zuzuführen.
Christian Wagner, Mitgründer von mediorbis, Fachanwalt für Medizinrecht und Vorsitzender der SGB V-Kommission beim Deutschen Sozialgerichtstag, unterstreicht die Bedeutung des Apothekengesetzes für den Fall: „Wenn Apotheker auf einen Fernbehandlungsdienst aufmerksam machen, müssen sie gleichwertig, klar und unmissverständlich auf die Möglichkeit hinweisen, einen stationären Arzt zu konsultieren.“ Shop Apotheke ging nach dem Urteil des Landgerichts Köln in Berufung und scheiterte 2022 erneut – in Runde 2 beim Oberlandesgericht Köln.
Mehrere Gesetze sind relevant
Neben dem Apothekergesetz sind weitere Gesetze relevant, wenn für Fernbehandlungen geworben wird. Mit dem verschwiegenen Zava-Hauptsitz in Großbritannien verstieß Shop Apotheke z. B. gegen Paragraf 5a (Irreführung durch Unterlassen) des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG).
Mit ihrer Werbung für eine medizinische Fernbehandlung via Online-Fragebogen hat die Onlineapotheke zusätzlich Regeln aus dem Heilmittelwerbegesetz (HWG) verletzt. Paragraf 9 des HWG erklärt eine Werbung für eine Fernbehandlung grundsätzlich für unzulässig. Er definiert aber Ausnahmen für Fälle, in denen „nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen“ nicht erforderlich ist.
Werbung für Schweizer Ärzte
Ein Verstoß gegen das Heilmittelwerbegesetz sah auch der Bundesgerichtshof, dieses Mal in dritter Instanz, in der Klage gegen einen privaten Krankenversicherer. Der hatte eine Fernbehandlung u. a. mit folgenden Worten angepriesen: „Erhalte erstmals in Deutschland Diagnosen, Therapieempfehlung und Krankschreibung per App“. Die behandelnden Ärzte saßen in der Schweiz, wo die Telemedizin anderen Regeln als in Deutschland folgt. Aus Sicht des BGH spielt das aber keine Rolle. Das Schweizer Berufsrecht für Ärzte definiere keine „allgemein anerkannten fachlichen Standards“, urteilt das Gericht. Deshalb greift Absatz 2 im Paragraf 9 HWG nicht.
Für Christian Wagner ist die BGH-Entscheidung ebenso richtig wie gut begründet. „Werbung für Fernbehandlungen darf keine übertriebenen Erwartungen oder falsche Hoffnungen bei Patienten wecken“, sagt er. Auf der anderen Seite hält er es für wichtig, dass die Anbieter dieser Behandlungen den rechtlichen Rahmen ausschöpfen, um für ihr Angebot zu werben.
Die Fernbehandlung kann ein wichtiger Baustein in einem modernen deutschen Gesundheitssystem werden. Das funktioniert aber nur, wenn sie durch rechtssichere Werbung bekannter wird und die Akzeptanz für diese Art der Behandlung weiter steigt. Christian Wagner trägt mit seiner Arbeit als Fachanwalt für Medizinrecht dazu bei, Mandanten diese rechtssichere Werbung zu ermöglichen.
„Die für die Überwachung des Betäubungsmittelverkehrs zuständigen Behörden sind nicht befugt, zur Kontrolle des Verschreibens von Betäubungsmitteln Einsicht in ärztliche Patientenakten zu nehmen.“ Mit diesen Worten hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig das eigene Urteil auf den Punkt gebracht. Der Kläger, ein Arzt mit einer allgemeinmedizinischen Praxis – war gegen die für ihn zuständige Überwachungsbehörde vorgegangen. Mit diesem Urteil im Frühjahr 2022 endete ein Streit, zu dem Vorinstanzen bereits in den Jahren 2017 und 2019 Urteile gefällt hatten – genauer das Verwaltungsgericht München und der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Der Anlass: Routine-Kontrollen in Apotheken
Anlass für die langandauernde Auseinandersetzung war die Forderung der Behörde an den Arzt für 14 namentlich benannte Patienten, alle von ihm ausgestellten Betäubungsmittelrezepte sowie die Unterlagen vorzulegen, die die Betäubungsmittelverschreibungen medizinisch begründen können. Dazu zählten z. B. Patientendokumentationen, Arztbriefe oder Befunde – zum Teil über Zeiträume von mehreren Jahren. Zur Begründung des Bescheides führten die Beamten aus, dass bei routinemäßigen Kontrollen in Apotheken zahlreiche Verschreibungen des Klägers aufgefallen seien. U. a. über die Betäubungsmittel Methylphenidat und Fentanyl. Die auffälligen Rezepte hätten Anlass zur Überprüfung gegeben, ob die Anwendung der verschriebenen Betäubungsmittel medizinisch indiziert gewesen sei. Und: Die Prüfung sei ohne Einsicht in die Patientenakten nicht möglich.
Klage, Urteil und Berufung
Das Verwaltungsgericht München hob den Bescheid auf – soweit er die Vorlage der Patientenunterlagen anordnet – und wies die Klage des Arztes im Übrigen ab. Die Berufung des Klägers blieb ohne Erfolg. Auf die Berufung der Beklagten änderte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof das erstinstanzliche Urteil und wies die Klage insgesamt ab. Das Bundesverwaltungsgericht hat das Berufungsurteil geändert und die erstinstanzliche Entscheidung bestätigt.
Gute Gründe
Nach Ansicht der Richter sind die Überwachungsbehörden zwar befugt, Unterlagen über den Betäubungsmittelverkehr einzusehen, so weit sie für die Sicherheit oder Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs von Bedeutung sein können. Aber: „Die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, nicht nur Betäubungsmittelverschreibungen, sondern auch Patientenakten seien Unterlagen im Sinne von § 22 Abs. 1 Nr. 1 BtMG, verstößt gegen Bundesrecht. Die Auslegung der Vorschrift ergibt, dass sie auf Patientenakten keine Anwendung findet.“
Trotzdem äußerte das Gericht Verständnis für das Ansinnen der Behörde, denn anhand der Angaben auf einem Betäubungsmittelrezept lässt sich die medizinische Begründung der Verschreibung nicht feststellen. Das Ziel, eine effektive Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs zu gewährleisten, könne, so die Richter, daher dafürsprechen, den Überwachungsbehörden auch die Befugnis einzuräumen, ärztliche Patientenunterlagen einzusehen. Die grundlegende Einschränkung folgt sogleich: „§ 22 Abs. 1 Nr. 1 BtMG bietet für die Befugnis zur Einsicht in Patientenakten jedoch keine Grundlage. Weder Wortlaut und Entstehungsgeschichte der Norm noch die Gesetzessystematik geben Anknüpfungspunkte dafür, dass Patientenakten nach dem Willen des Gesetzgebers von dem Begriff „Unterlagen über den Betäubungsmittelverkehr“ umfasst sein sollen.“
Bedeutung für die Praxis
Christian Wagner, Gründer der Anwaltsplattform advomeda und Justiziar von mediorbis, hält das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts für das einzig richtige: „Es gibt in dem genannten Rahmen kein Recht zur Einsicht in die Patientenakten. Das könnte im Einzelfall die Behörden tatsächlich bei der Verfolgung eines Missbrauchs ausbremsen – keine Frage. Auf der anderen Seite gehören Daten zu Gesundheit des einzelnen Menschen zu seinen schützenswertesten Daten überhaupt. Deshalb hat der Gesetzgeber völlig zu Recht den Datenschutz an dieser Stelle bisher nicht aufgeweicht und wird das zukünftig hoffentlich auch nicht tun.“
„Die Veranstaltung war sehr gut besucht. Das zeigt, wie ernst der Politik die Strukturreform ist und dass sie Impulse vom DSGT für die kommende Reform begrüßt“, resümierte Christian Wagner. Der Fachanwalt für Medizinrecht ist Vorsitzender der SGB V-Kommission beim Deutschen Sozialgerichtstag.
Eingeladen hatte der DSGT u. a. Bundestagsabgeordnete und ihre Mitarbeitenden, Entscheider aus Bundesministerien und Fachreferenten der Fraktionen. Schirmherrin der Veranstaltung war Kirsten Kappert-Gonther (Bündnis 90/Die Grünen), stellvertretende Vorsitzende des Gesundheitsausschusses.
7 Positionen für wichtige Reformen
„Eine zunehmend von Wirtschaftlichkeit und Zeitnot geprägte Krankenhausversorgung verliert die Zuwendung zu den Menschen, die Krankenhaushilfe benötigen. Die Arbeitsbelastung in den Krankenhäusern ist in Deutschland sehr hoch. Im europäischen Vergleich werden zu viele Patientinnen und Patienten stationär behandelt.“
So formuliert der DSGT den IST-Zustand in seinem Positionspapier. Er lässt sieben Positionen folgen, um „Patienten und Patientinnen wieder in den Mittelpunkt der stationären Versorgung zu rücken“.
Position 1: Prävention und Gesundheitsförderung als zentrale Säule des Gesundheitssystems etablieren
Gesundheits-Lotsen, Gesundheits-Kioske und Gemeindeschwestern sind niedrigschwellige Präventionsangebote. Abhängig von der lokalen Bedarfs- und Problemlage sollten die Angebote aufgebaut und vernetzt werden: untereinander, mit Gesundheitsämtern und dem öffentlichen Gesundheitsdienst.
Position 2: Hürden für vernetzte, sektorenverbindende, interdisziplinäre Versorgung abbauen und ambulantisierte Leistungen im Krankenhaus stärken
Der DSGT fordert eine verbesserte Koordinierung und Aufgabenteilung zwischen Akteuren wie Krankenhäusern, Medizinischen Versorgungszentren sowie niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten. Krankenhäuser sollen bei definierten Leistungsgruppen selbst entscheiden können, ob sie eine Leistung ambulant oder stationär erbringen.
Position 3: Zusammenführung der ambulanten Bedarfsplanung und Krankenhausplanung zu einer integrierten Versorgungsplanung
Eine „kleinräumige bevölkerungsbezogene Versorgungsbedarfsforschung“ wäre ein Beitrag, um die Versorgungslandschaft an medizinischen Erfordernissen in den Regionen sowie an der Daseinsvorsorge auszurichten.
Position 4: Versorgungsstufen und Strukturfinanzierung des Bundes notwendig
Ein bundeseinheitlicher gesetzlicher Rahmen sollte drei Versorgungsstufen mit jeweils unterschiedlichen Aufgaben etablieren:
Grund- und Regelversorger
Regionalversorger
Maximal- und Schwerpunktversorger
Grund- und Regelversorger bieten mindestens drei Leistungsbereiche und -gruppen mit einem hohen Anteil ambulanter Leistungen an. Maximal- und Schwerpunktversorger haben mindestens sieben Leistungsbereiche und -gruppen oder einen besonderen Versorgungsbereich mit hochspezialisierten Leistungen. Der Anteil ambulanter Leistungen ist niedrig.
Position 5: Dokumentationseffizienz erhöhen
Der DSGT fordert u. a. den Aufbau von Patientenbefragungen mittels validierter Instrumente und einen reduzierten Dokumentationsaufwand durch digitale Lösungen.
Position 6: Digitalisierung beschleunigen und Daten breit nutzen
Patientenakten sollen vollständig digitalisiert werden, um es Versicherten zu ermöglichen, all ihre Gesundheitsdaten einzusehen und Leistungserbringern einfachen Zugriff auf Daten zu geben.
Position 7: Verlässliche und verständliche Informationen über Krankheiten, Behandlungsmöglichkeiten und Krankenhäuser bereitstellen
Bereits bestehende Informationsangebote wie gesundheitsinformation.de sollen erweitert und auf einer unabhängigen Internetseite zusammengeführt werden. Auf diesem Portal sollen Interessierte auch die für eine Behandlung infrage kommenden Krankenhäuser anhand erhobener Ergebnis- und Prozessqualitätsdaten vergleichen können.
mediorbis am Puls der Zeit
Christian Wagner gehört zu den Gründern von mediorbis. Die Plattform bietet im medizinischen Bereich Leistungen wie Praxis- und Ärzteberatungen, Praxismarketing und Medical Headhunting an. „Ich bin überzeugt davon, dass auch mediorbis Impulse in diesem wichtigen Umwandlungsprozess setzen kann und wird. Und ich freue mich darüber, hier mit einem Team sehr unterschiedlicher, hochspezialisierter Menschen zusammenzuarbeiten.“
Cannabis gegen Alkoholsucht, ADHS … zahlt die Kasse?
Cannabis gegen Saufdruck? Keine Kostenübernahme!
Ein 70-jähriger Krankenversicherter aus dem Landkreis Siegen bekämpfte seinen Drang zum Alkoholkonsum jahrelang mit selbst angebautem Cannabis. Nach dem Verbot des Eigenanbaus sollte die Krankenkasse die Kosten für Medizinal-Cannabisblüten übernehmen. Die lehnte das ab. Den anschließenden Gerichtsstreit verlor der Versicherte in erster Instanz. Im März 2022 entschied auch das Hessische Landessozialgericht im Berufungsverfahren: Der Mann hat keinen Anspruch auf Kostenübernahme. Seine Alkoholerkrankung könne „unter anderem mit Rehabilitationsmaßnahmen, medikamentöser Rückfallprophylaxe und Psychotherapie behandelt werden“ (Quelle: Hessisches LSG).
Cannabis-Therapie: Freigabe mit Einschränkungen
Im März 2017 erweiterte der Gesetzgeber für Patienten die Möglichkeit, eine schwerwiegende Krankheit mit Cannabis auf Rezept zu bekämpfen. Das war zuvor nur in Ausnahmefällen möglich. Auch jetzt gibt es Bedingungen. Das Gesetz fordert unter anderem eine „nicht ganz entfernt liegende Aussicht“, dass Cannabis positiv auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome wirkt. Darüber hinaus gilt: Existiert bereits eine anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Therapie, gibt es zumeist keinen Anspruch auf medizinisches Cannabis. Ausnahme: Der behandelnde Arzt kann begründen, warum sich die anerkannte Therapie bei seinem Patienten nicht anwenden lässt (SGB V – §31, Absatz 6).
Viel Raum für Interpretationen
Offen bleibt bei den gesetzlichen Vorgaben zum Beispiel, ab wann eine „nicht ganz entfernt liegende Aussicht“ auf eine erfolgreiche Cannabis-Therapie besteht. Die Universität Bremen beklagte etwa im Cannabis-Report 2018 (Seite 15) eher lückenhafte Erkenntnisse zum medizinischen Nutzen der Cannabinoide. Seither hat es aber weitere Studien gegeben. Hilfreiche Informationen kann zudem die Begleiterhebung liefern, die die erweiterte Freigabe von Cannabis für therapeutische Zwecke bis März 2022 begleitet hat. Ebenfalls offen bleibt bisher, was der Gesetzgeber als schwerwiegende Krankheit definiert. Das lässt Raum für Interpretationen und Streitfälle zwischen Krankenkassen und Patienten. „Lehnt die Krankenkasse die Kostenübernahme für eine Cannabis-Therapie ab, sollte man nicht sofort aufgeben. Es bleiben vier Wochen für einen Widerspruch“, sagt Christian Wagner, Fachanwalt für Medizinrecht und Vorsitzender der SGB V-Kommission beim Deutschen Sozialgerichtstag.
ADHS: eine schwerwiegende Krankheit?
Bei der Definition schwerwiegender Krankheiten sind sich die Gerichte nicht immer einig. So scheiterte ein Kläger am Landessozialgericht Baden-Württemberg mit seiner Klage. Seit seiner Kindheit leidet er an ADHS, die er seit dem Alter von 13 Jahren mit Cannabis bekämpft. Eine schwerwiegende Erkrankung liegt bei ihm aber laut Gericht nicht nachweislich vor. Die Krankenkasse muss keine Cannabis-Therapie zahlen. Anders beurteilte das Sozialgericht Frankfurt am Main im Oktober 2021 den Fall eines anderen ADHS-Patienten (Urteil: S 25 KR 313/18). Verbunden ist die Krankheit bei ihm u. a. mit massiven Schlafstörungen und hoher Impulsivität. Die gerichtliche Sachverständige bewertete ADHS bei ihm „als schwerwiegende psychische Erkrankung“. Die Krankenkasse wurde verurteilt, die Cannabis-Therapie zu bezahlen.
Manchmal besteht Aussicht auf beschleunigte Verfahren
„Zum Anspruch auf Versorgung mit medizinischem Cannabis (§ 31, Abs. 6 SGB V) gibt es weiter keine einheitliche Rechtsprechung.“ Das betonte die Neue Zeitschrift für Sozialrecht in ihrer Jahresrevue 2021. „Den Patienten wäre hier mehr Rechtssicherheit zu wünschen“, sagt Christian Wagner. Er empfiehlt Patienten und Ärzten, bei einem ablehnenden Krankenkassenbescheid die Chancen eines Widerspruchs zu prüfen. Wird eine schnelle Entscheidung sehr wichtig, kann ein einstweiliges Rechtsschutzverfahren den Prozess beschleunigen.
Guter Rat erforderlich: „halber Steuersatz“ und Praxisverkauf
Ganz einfach: angestellt statt frei
Ab in den Ruhestand – aber ein bisschen dazuverdienen ist auch nicht schlecht? Das sind Gedanken, die viele Ärztinnen und Ärzte bewegen, wenn es auf das Ende der Berufstätigkeit zugeht. Dabei lockt auch die Möglichkeit, Steuern zu sparen und das in einem sehr beachtlichen Umfang. Dabei bieten sich bei der Arbeit im Ruhestand verschiedene Modelle an, wie Christian Wagner, Gründer der Anwaltsplattform advomeda und Justiziar von mediorbis, weiß: „Am unproblematischsten ist die Anstellung in einer Praxis gegen ein festes Gehalt – auch in derselben Praxis. Bei allen Formen von freiberuflicher Arbeit wird es sehr schnell kompliziert und erfordert dringend Beratung.“ Dazu kommt, dass es auch für die Käufer einer Praxis sehr von Vorteil sein kann, wenn beide Seiten wenigstens für eine Übergangszeit zusammenarbeiten.
Prinzipiell gilt beim „halben Steuersatz“: Arbeit einstellen
Dabei scheinen die Voraussetzungen für den „halben Steuersatz“ auf den ersten Blick übersichtlich. Das Alter übersteigt das 55. Lebensjahr oder es liegt eine dauerhafte Berufsunfähigkeit vor. Achtung: Diese Berufsunfähigkeit sollte vor dem Verkauf amtsärztlich festgestellt werden. Weiter müssen Arzt oder Ärztin die selbstständige Tätigkeit am bisherigen Ort für eine bestimmte Zeit einstellen. Leider ist die Zeitspanne für diese Pause nicht gesetzlich definiert, auch wenn vielfach von drei Jahren ausgegangen wird. Christian Wagner empfiehlt hier, auf die Einschätzung von Steuerberatern oder Juristen zu setzen, die auf den Gesundheitssektor spezialisiert sind. Gleiches gilt für den räumlichen Bezug: „Wenn ein Arzt seine Praxis in einer Kleinstadt verkauft hat und in der benachbarten Kleinstadt wieder arbeitet, dann ist es etwas anderes, als wenn er vom Allgäu nach Mecklenburg zieht – es kommt auf den Einzelfall an.“
Ausnahme für den geringen Umfang
Wenige Patienten darf ein Arzt aber auch nach dem Verkauf seiner Praxis vor Ort weiterbehandeln, ohne die steuerlichen Vorteile zu gefährden. Dabei gilt als Marke, dass der Umsatz nach dem Praxisverkauf nicht höher liegt als zehn Prozent des Umsatzes vor dem Verkauf. Allerdings sieht Christian Wagner hier Schwierigkeiten, die vor allem im Verhältnis zwischen Verkäufer und Käufer liegen: „Ein Käufer wird nur schwer davon zu überzeugen sein, auf zehn Prozent des Umsatzes zu verzichten, zumal sich hier auch die Frage der Kontrolle stellt. Deshalb dürfte sich wohl in den allermeisten Kaufverträgen zu Recht eine Konkurrenzschutzklausel finden.“ Kurz, dieser Weg fällt in der Praxis in der Regel aus.
Gutachtertätigkeiten und „Beratung ist alles“
Vorsicht ist übrigens auch bei Gutachtertätigkeiten geboten. Haben ein Arzt oder eine Ärztin schon vor der Praxisabgabe Gutachten erstellt, dann kann das die Reduktion des Steuersatzes zunichtemachen. Anders sieht es aus, wenn die Gutachtertätigkeit erst nach der Praxisabgabe aufgenommen wird.
„Zusammenfassend gilt“, sagt Christian Wagner, „dass beim „halben Steuersatz“ Beratung alles ist, denn die Regelungen erweisen sich im individuellen Fall oft als sehr kompliziert, auch wenn sie auf den ersten Blick gar nicht so scheinen. Aber der Aufwand einer soliden Vorbereitung zum „halben Steuersatz“ lohnt, denn es lassen sich am Ende tausende Euros an Steuern sparen.“