Ein Urteil, das alles verändert hat
Die Hilfe zum Suizid war Ärzten wie Frau Dr. M. in Deutschland bis 2020 nicht erlaubt. Möglich war es ihnen dagegen, einen Patienten nur noch eingeschränkt zu behandeln, um sein Sterben nicht künstlich in die Länge zu ziehen. Darüber hinaus durften sie ihn selbst dann palliativ versorgen, wenn die Maßnahmen sein restliches Leben verkürzten. Dass jetzt auch die Hilfe zum Suizid zumindest theoretisch möglich ist, beruht auf einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 2020. In der Urteilsbegründung heißt es unter anderem:
„Wenn die Rechtsordnung bestimmte, für die Autonomie gefährliche Formen der Suizidhilfe unter Strafe stellt, muss sie sicherstellen, dass trotz des Verbots im Einzelfall ein Zugang zu freiwillig bereitgestellter Suizidhilfe real eröffnet bleibt.“
Frau Dr. M. könnte Herrn P. also theoretisch Betäubungsmittel für seinen Suizid besorgen, die er anschließend in ihrem Beisein einnimmt. Sie darf ihm die Betäubungsmittel aber nicht selbst verabreichen. Das wäre eine aktive Sterbehilfe, die in Deutschland nach wie vor verboten ist.
Was rechtlich erlaubt ist, ist rechtlich unmöglich
Auch die Hilfe zur Selbsttötung ist trotz des Urteils rechtlich noch immer sehr problematisch. Nach bisheriger Interpretation des Betäubungsmittelgesetzes dürfen Betäubungsmittel nämlich nur „im Rahmen einer medizinischen Behandlung zu therapeutischen Zwecken (als Heilmittel) verwendet“ werden. Und das auch nur dann, wenn dafür eine Indikation besteht.
„Wir haben im Moment die eigentümliche Situation, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts einem Arzt grundsätzlich die Möglichkeit gibt, eine Hilfe zum Suizid zu leisten. Andererseits macht das Betäubungsmittelgesetz es den Ärzten aktuell praktisch unmöglich, Menschen tatsächlich einen sanften Suizid zu ermöglichen“, sagt Christian Wagner, Fachanwalt im Medizinrecht und Vorsitzender der SGB-V Kommission. Er geht aber davon aus, dass sich die Sachlage in der kommenden Legislaturperiode ändert und dass sich für Ärzte wie Frau Dr. M. dann eine rechtssicherere Situation ergibt. Die moralisch-ethische Entscheidung der Ärzte wird dadurch aber auch nicht einfacher.
Wer darf sterben? Wer soll leben?
Frau Dr. M spricht mit Herrn P. intensiv über seinen Suizidwunsch und nennt ihm dabei auch Alternativen wie eine intensive palliativmedizinische Betreuung. Damit handelt sie im Einklang mit der Bundesärztekammer, die solche Gespräche zum „Kern der ärztlichen Tätigkeit“ zählt. Die „Mitwirkung des Arztes bei der Selbsttötung“ hält sie dagegen für keine ärztliche Aufgabe. Frau Dr. M. wird wohl dennoch irgendwann legale Hilfe zum Suizid leisten können, wenn sie es möchte. Für Patienten wie Herrn P. könnte sie sich das auch vorstellen.
Aber wie ist das in anderen Fällen, etwa bei schweren psychischen Erkrankungen körperlich gesunder Menschen? Die rechtlichen Fragen können Ärzte mit Fachanwälten für Medizinrecht klären. Welche Hilfe zum Suizid er mit dem eigenen Gewissen vereinbaren kann, muss allerdings jeder Arzt für sich entscheiden. Einfach ist diese Entscheidung mit Sicherheit nicht.
Bleibt die Frage: Was ist mit Herrn P.? Möglicherweise erlebt er die nötigen Veränderungen in Deutschland noch, um anschließend selbstbestimmt sterben zu können. Alternativ kann er aktuell versuchen, sein Ziel in Ländern wie der Schweiz oder in Belgien zu erreichen, wo auch aktive Sterbehilfe erlaubt ist. So oder so: Er wird Abschied vom Leben nehmen müssen. Wie jeder Mensch. Irgendwann. Und am Ende bleibt nur der Wunsch, dass es ein würdiger Abschied ist: als Abschluss eines hoffentlich guten Lebens.
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