Patientenwillen

Kann oder muss ein Arzt den Patientenwillen ignorieren? Jein

Mira Ross-Büttgen
02.11.2022

Eine Patientin möchte alle Zähne mit Füllung ziehen lassen, ohne dass dafür ein medizinischer Grund besteht. Ein anderer verweigert eine lebensnotwendige Bluttransfusion. Wie sollen Ärzte darauf reagieren? Der Umgang mit dem Patientenwillen stellt sie nicht nur beim Thema „Sterbehilfe“ bisweilen vor schwierige Entscheidungen.

Die Zähne müssen raus

Manchmal dürfen Ärzte den Patientenwillen nicht nur ignorieren. Sie müssen es sogar. Sehr plakativ zeigt das ein Zahnmedizin-Fall aus den späten 70er Jahren. Damals forderte eine Frau mit chronischem Kopfschmerz einen Zahnarzt auf, ihr alle Zähne mit einer Füllung zu ziehen. Aus ihrer Sicht waren diese Zähne die Ursache ihrer Schmerzen. Medizinisch war diese These nicht haltbar.

Dennoch zog der Arzt der Frau alle Zähne im Oberkiefer. Dass er ihr dabei aufgrund eines Missverständnisses auch nicht plombierte Zähne entfernt hat, ist für den Fall nebensächlich. Das Entscheidende: Laut eines Urteils des Bundesgerichtshofs (BGH) hat der Patientin die erforderliche Urteilskraft für eine eigenverantwortliche Entscheidung gefehlt. Der Zahnarzt hätte ihr die Zähne deshalb nicht ziehen dürfen.

„Hier geht es um einen Fall, bei dem die Patientin eine aus ärztlicher Sicht unsinnige Behandlung einfordert“, sagt Christian Wagner, Mitgründer von mediorbis, Fachanwalt für Medizinrecht und Vorsitzender der SGB V-Kommission beim Deutschen Sozialgerichtstag. „In solchen Fällen entscheidet der Arzt sehr oft richtig, wenn er die Behandlung verweigert“, urteilt er. „Komplizierter wird die Situation, wenn der Patient eine aus ärztlicher Sicht notwendige Behandlung verweigert.“

Patientenwillen: Entscheidend ist Einwilligungsfähigkeit

Der hohe Wert des Patientenwillen bei medizinischen Behandlungen ergibt sich aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB, Paragraf 630d). Grundsätzlich gilt: Der Arzt darf den Patienten in der Regel nur auf eine Art therapieren, in die der Patient eingewilligt hat. Fähig zu dieser Einwilligung ist der Patient, wenn er Bedeutung, Tragweite und Risiko der ärztlichen Maßnahme erkennt und versteht. Deshalb ist das Aufklärungsgespräch zwischen Arzt und Patient wichtig. Der Arzt muss ihm erklären, was er vorhat. Und nur, wenn der Patient es versteht, kann er einwilligungsfähig sein.

Fehlen kann die Einwilligungsfähigkeit des Patienten aber auch aus Gründen wie Minderjährigkeit, Alkoholkonsum oder Demenz. Die Betonung liegt auf kann. So gibt es zum Beispiel keinen festgelegten Promillewert, ab der ein Mensch im medizinischen Bereich als nicht mehr einwilligungsfähig gilt. Der Arzt muss also im Einzelfall entscheiden, ob ein geäußerter Patientenwille verbindlich ist oder nicht. Das ist mitunter sehr schwierig.

Ich will kein fremdes Blut

Bluttransfusion - auch hier zählt oft der Patientenwillen

Ärzte dürfen sich über den Patientenwillen hinwegsetzen, wenn der Patient einwilligungsunfähig ist. Ausnahme: Es existiert so etwas wie eine Patientenverfügung aus einer Zeit, in der er einwilligungsfähig war, oder es darf eine andere Person (zum Beispiel ein Betreuer) für ihn entscheiden. Lehnt ein einwilligungsfähiger Patient eine Behandlung ab, ist das für den Arzt dagegen oft bindend. Das gilt auch dann, wenn ein einwilligungsfähiger Patient eine aus ärztlicher Sicht notwendige Bluttransfusion ablehnt. Der Arzt muss über die Einwilligungsfähigkeit des Patienten dann unter Umständen in kürzester Zeit entscheiden. Im Extremfall entstehen dabei Situationen, die mit dem ärztlichen Selbstverständnis kaum vereinbar ist. Ärzte müssen den Patientenwillen unter Umständen selbst dann berücksichtigen, wenn der Patient höchstwahrscheinlich ohne die Bluttransfusion stirbt (Beispielurteil aus 2003).

Im Zweifelsfall ist eine rechtliche Beratung gut

Die meisten Fälle in der ärztlichen Praxis stellen Ärzte nicht vor derartige Entscheidungen. Aber auch der gewöhnliche Praxis- und Klinikalltag bietet bei Fragen rund um den Patientenwillen Herausforderungen. Die Bundesärztekammer hat 2019 deshalb Hinweise und Empfehlungen herausgebracht, wie Ärzte mit Zweifeln an der Einwilligungsfähigkeit erwachsener Patienten umgehen sollten. Bleibt in einem Zweifelsfall Zeit für die ärztliche Entscheidung, kann zudem eine medizinrechtliche Beratung sinnvoll sein.

Bild 1: ©iStock/FatCamera , Bild 2: ©iStock/DieterMeyrl

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