Mittendrin in der Legalize it!-Zielgruppe
Sido aka Paul Würdig im artgerechten Adidas-Sneaker-Socken-Zweiteiler spricht und agiert ab Sekunde 1 so, als gehörten Deutschlands Top-10-Politdarsteller zu seinem natürlichen Soziotop: „Ich sag‘ immer du. Ist das okay?“ Das Sie hat keinen Platz im Leben von Sido, auch wenn der jetzt neben der Musik das Geschäftemachen für sich entdeckt hat. Sido ist an KEjF beteiligt, einem Berliner Cannabis-Start-up. Und für dieses Unternehmen hat er den Bundesgesundheitsminister zum ersten KEjF-Talk ins Studio eingeladen.
Der Mann, der offiziell als Herr Minister angesprochen werden sollte, weiß, dass er mittendrin ist in der Legalize it!-Zielgruppe und entscheidet spontan: „Sido dann. Also dann bin ich Karl.“
„Der Stoff ist in guter Qualität da“
Karl will aufklären. Das wird im Laufe des Gesprächs klar. Aufklärung und Jugendschutz sind seine Mission und der Grund, warum er sich Zeit für Sido nimmt. Über Sido erreicht der Minister schneller, tiefer, glaubwürdiger und viel preiswerter als mit hilflosen Werbetafeln im öffentlichen Nahverkehr die, die er erreichen will: Heranwachsende. Die will Lauterbach schützen vor dem Teilsuizid am heranwachsenden Gehirn: „Unter 18 geht gar nichts.“ Und zwischen 18 und 21 Jahren maximal 30 Gramm pro Monat mit einem THC-Gehalt von maximal zehn Prozent. Sido hört freundlich lächelnd zu und denkt wahrscheinlich an seinen ersten Joint kurz vorm 18. Geburtstag.
Die hochpotenten Weed-Sorten, die heute auf dem Schwarzmarkt unterwegs seien, berichtet der Bundesgesundheitsminister, würden „zum Teil, wie das in der Fachszene heute heißen würde, die Birne beschädigen“. Sido seufzt: „10 Prozent ist schon recht wenig.“ Er selbst habe mit 14 Prozent angefangen, damals in der „Schmuddelecke“, aus der der „Stoff“ jetzt endlich raus muss. Da sind sich der Karl und der Paul einig. Marihuana muss weg von den „Dealern und Verbrechern“ und rein in die Social Clubs, die das Gras selbst anbauen und auf toxische Beimengungen verzichten. Karl: „Der Stoff ist in guter Qualität da.“
„Die jungen Leute wollen sich zuballern“
Karl, der Idealist, der an das Gute im Menschen glaubt, und Paul, der weiß, dass es auch ganz anders kommen kann: „Glaubt ihr eigentlich nicht, dass die 18- bis 21-Jährigen auf den Schwarzmarkt gehen, wenn sie so eingeschränkt sind?“ Nein, glaubt der Minister nicht: „Viele werden denken, wenn ich in dem Alter schon konsumiere, dann nehme ich lieber den Stoff, der mir weniger schadet.“
Sido bleibt mit seiner Ghetto-Expertise skeptisch: „Ich glaube, die jungen Leute wollen sich zuballern. Je mehr, desto besser.“ Kurz und knackig. Sidos neuer Kollege und Karls Kumpel Markus Lanz hätte für die Ausformulierung eines solchen Gedankens gefühlt genauso viel Zeit gebraucht wie ein hart gekochtes Frühstücksei.
Neues Cannabis-Level antrainiert
Es bleibt nicht der einzige Knackpunkt zwischen den Legalisierungsfreunden im KEjF-Studio, denn auch für die richtigen Erwachsenen will Lauterbach nur 50 Gramm pro Monat erlauben, THC-Gehalt nach oben immerhin offen: „Mit 50 Gramm kommt man schon gut über die Runden. Der Konsum, der darüber hinaus ginge, wäre auch gefährlich. Will man nicht. Willst du nicht.“
Kurze Pause, irritiert beginnt Sido zu stottern: „Wer … also … wer … wer … ich … ich … nicht? Ich nicht?“ Dabei sieht er aus, als würde er sich ausmalen, wie trostlos das Leben mit einer Tagesdosis von 1,61 Gramm – oder im Februar mit 1,79 Gramm – Gras wäre und beteuert: „Also, ich vielleicht schon. Das schaff‘ ich.“ Er sei schließlich auch ein „großer und stabiler Mann“ und habe sich in den vergangenen Jahren „vielleicht ein neues Level antrainiert“. Das sei doch möglich.
„Schrumpft mein Gehirn jetzt?“
„Nee, das ist genauso, als wenn man ständig Alkohol säuft“, belehrt der studierte Mediziner Prof. Dr. Karl Lauterbach. „Die Leber wächst nicht, sondern wird schwächer. Und wenn man ständig so mehr als 50 Gramm pro Monat reintut, dann wächst auch das Gehirn nicht, sondern da muss man an die Reserven gehen.“
„Aber es schrumpft nicht.“ Sido klingt besorgt. „Schrumpft mein Gehirn jetzt?“ Eine Frage, die sicher auch die Bezieher von Medizinalcannabis aus der Apotheke interessiert. Die können sich nämlich schon jetzt maximal 100 Gramm pro Monat verschreiben lassen. Lauterbach beruhigt: „Schrumpfen tut’s nicht …“ – „Ah, okay. Cool.“
„Hast du Druck bekommen vom Volk?“
Aufklärer Sido appelliert ans Studioteam: „Leute, nicht mehr als 50 Gramm, sagt Karl, und ihr müsst euch da auch kein Beispiel an mir nehmen.“ Aber Lauterbach korrigiert: „Karl sagt ,am besten gar nichts‘.“ Warum er dann überhaupt legalisieren wolle, will Sido wissen. „Hast du Druck bekommen vom Volk?“
Abseits vom Geplänkel ging’s auch um Cannabis als Medizin. Lauterbach sieht das Potenzial der Hanfpflanze und freut sich über eine neue Ärzteschaft, die sich „hochseriös“ mit dem Thema Medizinalcannabis beschäftige: „Da hat sich was aufgebaut, was richtig ist.“ Es werden Erkenntnisse gesammelt, welche Cannabissorte, welcher Strain bei welchem Krankheitsbild eine Therapieoption sein kann. Und das sei eine Chance für mehr Gesundheit.
Lauterbach selbst will auch in Zukunft auf Eigenkonsum verzichten: „Ich legalisiere, aber danach bin ich raus.“ Er selbst habe vor Jahren mal einen „durchgezogen“ und sei überrascht gewesen von der tollen Wirkung, die sich sofort eingestellt habe. Das war dem Gesundheitsminister zu gefährlich.
„Durchziehen“ ist im Ghetto mehrdeutig. Sido hakt nach: „Was ist es denn gewesen? Gras?“ – „Keine Details.“
Das ganze Interview bei YouTube.
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Bilder: Screenshots KEjF