Ein Schub für die Telemedizin
Physiotherapie, Krankengymnastik sind Logopädie sind Beispiele für Heilmittelbehandlungen. Lange Zeit durften sie ausschließlich beim Therapeuten vor Ort stattfinden oder im Beisein des Therapeuten beim Patienten zu Hause. Mit der Corona-Pandemie wurde das anders. 2020 empfahlen die Kassenverbände auf Bundesebene und der GKV-Spitzenverband Sonderregeln. Sie ermöglichten Heilmittelbehandlungen als Videotherapie in Echtzeit. Diese Sonderregelung lief aber am 31. März 2022 aus. Das bedeutete allerdings nicht das Ende dieser Therapien. „Politik, Verbände und Ausschüsse gingen ab 2021 viele wichtige Schritte, um Videotherapie bei der Heilmittelbehandlung dauerhaft zu etablieren“ urteilt Christian Wagner, Mitgründer von mediorbis, Fachanwalt für Medizinrecht und Vorsitzender der SGB V-Kommission beim Deutschen Sozialgerichtstag.
Videotherapie: Schritt für Schritt in die Normalität
Bereits im Juni 2021 änderte der Gesetzgeber das Fünfte Sozialgesetzbuch, sodass Versicherte fortan Anspruch auf telemedizinisch erbrachte Heilmittel hatten (Paragraf 32). Im Oktober 2021 folgte der gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) mit dem Beschluss, die Heilmittel-Richtlinie passend zu verändern. Dieser Beschluss trat am 21. Januar 2022 in Kraft und integrierte telemedizinische Heilmittelbehandlungen in die Regelversorgung. Bei Behandlungen wie der Physiotherapie sind konkrete Bedingungen für die Kostenübernahme telemedizinischer Leistungen bereits seit einigen Monaten klar. Bei den Stimm-, Sprech-, Sprach- und Schlucktherapien dauert es aber länger und mit der jüngst ausgehandelten Übergangsregelung ist der Prozess noch nicht abgeschlossen.
Bei Physiotherapeuten herrscht bereits seit April Klarheit
Physiotherapeuten konnten nach Auslaufen der Corona-Sonderregeln sehr schnell mit Videotherapien fortfahren. Der dafür nötige Vertrag trat im April rückwirkend für den ersten April in Kraft. Er erlaubt den Therapeuten nach Absprache mit dem Patienten u. a., die Hälfte aller Stunden allgemeiner Krankengymnastik als telemedizinische Leistung zu erbringen. Es gibt jedoch diverse Bedingungen. Die Videotherapie erfolgt im Regelfall in Echtzeit. Für die Erstbehandlung und Verlaufskontrollen ist weiterhin ein persönlicher Kontakt nötig.
Darüber hinaus hat der persönliche Kontakt Vorrang, wenn ein Therapieziel durch Videotherapie nicht in gleichem Maß erreichbar ist. Grundsätzlich soll der Ausschluss dieser Therapie aber nur aus einem wichtigen Grund möglich sein. Therapeuten können sie deshalb auch aus wirtschaftlichen Gründen mit ihren Patienten vereinbaren. „Die Motive für das Angebot einer Videotherapie sind zweitrangig, solange das Therapieziel dabei erreichbar bleibt und man sich im gesetzlich festgelegten Rahmen bewegt“, sagt Christian Wagner.
Streit um die Rahmenbedingungen
Anders als in der Physiotherapie brachten die auslaufenden Corona-Sonderregeln bei den Stimm-, Sprech-, Sprach- und Schlucktherapeuten ein vorläufiges Ende der Videotherapie. Die Berufsverbände und die Krankenkassen scheiterten bei ihren Verhandlungen. Der Verband Deutscher Logopäden und Sprachtherapeutischer Berufe (VDLS) nannte als Gründe dafür unter anderem eine zu geringe Aufwandsentschädigung und eine verpflichtende Software. Von den Krankenkassen gezahlte Videotherapien wurden für die genannten Therapeuten damit erst einmal unmöglich.
Einigkeit soll nun ein Schiedsverfahren bringen, das noch nicht abgeschlossen ist. Seit Anfang September existiert aber eine Übergangsregelung. Durch sie ist eine telemedizinische Behandlung bereits bei einem Kind ab einem Alter von vier Jahren möglich. Bedingungen sind eine ausreichende Medienkompetenz und Konzentrationsfähigkeit des Kindes sowie die Anwesenheit einer Bezugs- oder Betreuungsperson. Auf welche Regeln man sich am Ende im Schiedsverfahren einigt, bleibt abzuwarten. Wie so oft gilt wohl: Gut Ding will Weile haben.
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