Produktion nicht mehr wirtschaftlich – Kassen zahlen nur 8,80 Euro pro Packung
Tamoxifen gilt laut Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) als versorgungsrelevanter Wirkstoff. Das SERM-Präparat (selektiver Estrogenrezeptormodulator) wird zur adjuvanten oder auch ergänzenden Therapie von hormonrezeptor-positiven Brustkrebsen nach der Primärbehandlung eingesetzt. Generikahersteller wie Hexal, Aliud und Heumann sitzen auf dem Trockenen. Der Grund: Mehrere Zulieferer haben die Produktion eingestellt. Die Herstellung sei wirtschaftlich nicht mehr rentabel gewesen.
„Das hängt damit zusammen, welche Verträge Krankenkassen und Industrie miteinander schließen und ob und welche staatlichen Regulatorien einwirken“, erklärt Medizinanwalt Christian Wagner. „Preisdrücker wie Rabattverträge sind zwischen Krankenkassen und Pharmakonzernen üblich. Manchmal kann das auch gut sein, damit zu teure Preise der Hersteller nicht unser Gesundheitssystem leersaugen. Im Fall von lebensrettenden, knappen Medikamenten ist das natürlich verkehrt.“
Für eine 100-er-Packung Tamoxifen erhalten die Hersteller von den Krankenkassen gerade mal 8,80 Euro. Eine wirtschaftliche Produktion und Lieferkette ist zu diesem Preis kaum möglich, daher ziehen sich nun immer mehr Produzenten aus diesem Markt zurück. Wie kann das bei lebensrettenden Medikamenten sein? Hat die Politik hier versagt?
„Die Politik kann den Pharmaunternehmen nicht vorschreiben, wo sie produzieren“, stellt Medizinjurist Wagner klar. „Inzwischen gibt es kaum noch Produktion in Europa, sie wird nach China oder Indien ausgelagert.“ Sein Vorschlag: „Damit sich die Rahmenbedingungen ändern, könnte es Regeln geben, dass man im Notfall von der Rabattbindung abweichen darf. Auch ein Exportverbot bei drohendem Versorgungsengpass in Deutschland wäre eine Möglichkeit.“
Ein Recht auf das Medikament gibt es nicht
Von Seiten der Pharmaunternehmen ist zu hören, dass mit Hochdruck daran gearbeitet werde, die Produktionspläne bei denjenigen Tamoxifen-Zulieferern, die die Produktion noch nicht eingestellt haben, kurzfristig zu ändern. Das setze aber voraus, dass wiederum andere Präparate hintan gestellt werden. Ein fataler Missstand bei dem Ganzen: „Die Unternehmen sind aktuell nicht gesetzlich zu einer Vorratslagerung verpflichtet“, erklärt Medizinanwalt Wagner und fordert: „Das muss sich ändern.“
Patientinnen, die auf das Präparat eingestellt und angewiesen sind, sind jetzt in Sorge. Haben sie oder ihre behandelnden Ärzte ein Recht, die Versorgung mit dem Medikament einzuklagen? „Wenn ein Medikament nicht lieferbar ist und auch kein Nachahmerpräparat zur Verfügung steht, bleibt dem Patienten nichts anderes übrig, als mit seinem Arzt und Apotheker eine alternative Behandlungsmöglichkeit zu besprechen“, stellt Christian Wagner klar. „Einen Haftungsanspruch gegen den Arzt, gegen die Klinik oder gegen den Hersteller gibt es nicht.“
Lieferengpass ist kein realer Versorgungsengpass
Gleichzeitig beruhigt er die Betroffenen: „Dass dieser Lieferengpass so schnell auffällt, liegt an einem Monitoring des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte. Es informiert dadurch frühzeitig die Öffentlichkeit. Lieferengpass definiert sich dabei dadurch, dass eine über zwei Wochen hinausgehende Auslieferung im üblichen Umfang nicht gewährleistet ist. Dass es aber dann zu einem realen Versorgungsengpass kommt, ist wirklich selten. Akut besteht noch keine Gesundheitsgefahr für Patienten und ich hoffe, dass, wenn die reale Versorgung gefährdet und keine Alternativpräparate zur Verfügung stehen, die Politik rechtzeitig eingreifen wird.“
Doch Rechtsanwalt Wagner weiß auch: „Schlussendlich geht es immer ums Geld, ob für die Krankenkassen, den Staat oder die Industrie. Es ist ein Milliarden-Geschäft mit unterschiedlichen Playern.“ Sollte es nicht die Aufgabe des Staates sein, seine Bürger zu schützen? Also das Ringen zwischen Krankenkassen und Industrie zum Wohle der Patienten zu regulieren? 130.000 Betroffenen bleibt aktuell nur das hoffnungsvolle Vertrauen, dass alle Beteiligten nun so agieren, dass der reale Versorgungsengpass noch abgewendet wird.
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