Legale Abtreibungen sind nicht mehr gesichert
2020 boten in ganz Deutschland 1.109 Praxen und Kliniken legale Schwangerschaftsabbrüche an. Im Vergleich zu 2003 hat sich die Zahl damit fast halbiert (minus 45 Prozent). Problematisch wird die Situation jetzt schon in Baden-Württemberg und Bayern. Die Möglichkeit einer legalen Abtreibung „sei dort schlichtweg nicht mehr gesichert“ sagt Dörte Frank-Boegner, Bundesvorsitzende von Pro Familia in der Neuen Westfälischen.
Ob Telemedizin betroffenen Frauen Hilfe bieten kann, prüft deswegen jetzt in einem Modellversuch das Berliner Familienplanungszentrum BALANCE: Frauen lassen sich in Videosprechstunden beraten und brechen ihre Schwangerschaft kontrolliert zu Hause mit Medikamenten ab. Wichtig ist dabei neben der medizinischen Betreuung die Technik, die nicht im entscheidenden Moment versagen darf. „In Deutschland existieren dafür bereits sehr gute Gesetze“, urteilt Mike Burns, Digitalexperte bei mediorbis. Allerdings müssen alle Beteiligten dazu beitragen, das Risiko technischer Störungen zu minimieren.
Schwangerschaftsabbruch daheim auf dem Sofa
So etwas testet aktuell das Berliner Familienplanungszentrum BALANCE in dem Modellprojekt. Der Ablauf:
- Die Schwangere klärt in einem ersten Videotermin, ob für sie ein telemedizinisch begleiteter Abbruch zu Hause möglich ist.
- Ist ein Abbruch möglich, erhält BALANCE alle erforderlichen Dokumente wie den Beratungsschein.
- In einem zweiten Videotermin klärt die Schwangere mit dem Arzt eventuell weitere Fragen und nimmt das erste von zwei Medikamenten für den Schwangerschaftsabbruch.
- Zwei Tage später nimmt sie im Beisein einer vertrauten Person das zweite Medikament. Es löst die Blutung aus.
- Eine Nachbesprechung per Video findet ca. 10 Tage nach Einnahme des zweiten Medikaments statt.
In Großbritannien gibt es diese Methode bereits seit April 2020. Sie gilt dort als sehr sicher und die Zufriedenheit der Patientinnen ist hoch, urteilt Doctors for Choice.
Zu langsames Internet in den am meisten betroffenen Regionen
Egal wie gut das Modellprojekt den Praxistest besteht, ein anderes Problem bleibt die immer noch nicht flächendeckende Abdeckung mit Breitband-Internet. Gerade auf dem flachen Land und gerade dort ist der Bedarf nach telemedizinischer Betreuung am größten. „Für solche Lösungen brauchen Praxen eine verlässlich schnelle Internet-Anbindung“, sagt Mike Burns und hofft auf Impulse durch die neue Bundesregierung.
Juristisch sind sachliche Informationen verbotene Werbung
„Auch juristisch könnte es Komplikationen geben, denn noch verbietet der Gesetzgeber ‚Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft‘“, sagt Christian Wagner, Fachanwalt für Medizinrecht beim Ärzteportal mediorbis. „Als werbend galten in der Vergangenheit oft bereits sachliche Information, die im Internet zur Verfügung gestellt werden. Auch hier gibt es Signale für eine Änderung in der neuen Legislaturperiode.“ Für die einen ein Meilenstein, für die anderen bereits zu viel.
Über Grenzen und Regeln von Schwangerschaftsabbrüchen wird wahrscheinlich weiter gestritten werden.
In Polen ist im September eine 30-jährige Frau gestorben (Focus, 8.11.2021). Es hatte bei ihr in der 22. Schwangerschaftswoche schwere Komplikationen gegeben. Wegen der schwierigen Gesetzeslage verweigerten Ärzte einer Klinik in Pszczyna den Abbruch. Mit einer Notabtreibung hätte die junge Frau vielleicht eine Chance gehabt.
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